Schattenparlament (1): Die Gewählten auf den Durchschnittslohn setzen

Willkommen zu einer neuen Serie. Es geht um die Frage: Was würde ich tun, wenn ich im Nationalrat sitzen würde, was ich bekanntlich weiterhin nicht tun werde? Es ist also quasi Schattenboxen oder eben: Vorstösse aus dem Schattenparlament.

Ich habe schon im Wahlkampf keinen Hehl aus meiner Meinung gemacht: Eidgenössische Parlamentarier erhalten zu viel Geld. Das ist kein Futterneid, ich bin zufrieden mit dem, was ich habe. Aber wer ein echtes Milizparlament will, darf seinen National- und Ständeräten schlicht nicht so viel Geld bezahlen, dass sie ansonsten nichts mehr tun müssen.

Wobei ich natürlich weiss: Viele Parlamentarier tun sehr viel mehr, als im Bundeshaus zu sitzen. Nach erfolgter Wahl lassen sie sich in Verwaltungsräte wählen oder übernehmen Beratungsmandate. Vornehmlich für Unternehmen oder Verbände, die handfeste politische Interessen haben. Einen solchen Posten erhält man nicht aufgrund seiner Kompetenzen, sondern weil der Auftraggeber weiss, dass er sich damit Einfluss auf die Politik kauft. Was aus meiner Sicht wiederum nicht wirklich zum Milizsystem beiträgt. Sondern eher zur Käuflichkeit. Ein anderes Wort dafür ist übrigens Korruption.

Deshalb hätte ich im Fall einer Wahl, die bekanntlich nicht gelungen ist (bitte hier Taschentücher hervornehmen) als erste Tat eine Parlamentsreform angestossen. Man sollte nämlich dringend klar definieren, was gewählte Volksvertreter unbedingt tun müssen, was sie tun dürfen, vor allem aber: was sie nicht tun dürfen. Und natürlich, wie das Ganze entschädigt wird.

Im Rahmen des Wahlkampfs habe ich plakativ von einer Halbierung der Entschädigung von National- und Ständeräten gesprochen. Das halte ich immer noch für eine taugliche und verträgliche Lösung, aber das mit der Halbierung machen wir ja schon bei der SRG, hoffentlich jedenfalls. Daher musste ich mir etwas Originelleres einfallen lassen.

Und hier die Lösung: Eidgenössische Parlamentarier erhalten künftig den Durchschnittslohn der Schweizerinnen und Schweizer. Das ist ein Wert, der sich recht einfach erheben lässt. Beziehungsweise: Das Bundesamt für Statistik, das man sonst ja bekanntlich leider sowieso nicht brauchen kann, erledigt das für uns.

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2022 sah es wie folgt aus: Männer verdienten im Schnitt 85’300 Franken pro Jahr, Frauen 73’800. Was, wiederum im Durchschnitt, ein Salär von 79’550 Franken ergibt.

Nun ist mir natürlich bekannt, dass ein «Durchschnitt» selten etwas mit der Lebenswirklichkeit einzelner Menschen zu tun hat. Ein Textilfärber bekommt vor Freude Schnappatmung bei der Aussicht, jemals rund 80’000 Franken pro Jahr zu verdienen, der Chef einer Grossbank ringt ebenfalls um Luft, aber aus umgekehrten Gründen. Wir bewegen uns hier zwischen zwei Welten. Aber ich mag die Dinge einfach und sage daher: Durchschnitt ist Durchschnitt, und es muss doch einen Grund gehabt haben, dass man mich einst damit im Unterricht gequält hat.

Deshalb hätte ich als Mitglied des Parlaments das Folgende gefordert: Wer in den National- oder den Ständerat gewählt wird, erhält in den anschliessenden vier Jahren den zum Zeitpunkt der Wahl gültigen Durchschnittslohn von Herrn und Frau Schweizer. Was eben – ich runde sogar grosszügig auf – aktuell 80’000 Franken entspricht.

Heute bekommt man als Nationalrat je nach Präsenz und Kommissionsarbeit irgendwas zwischen 130’000 und 140’000 Franken, bei Ständeräten ist es etwas mehr. Es wäre also eine heftige Einbusse. Diese muss man allerdings relativieren. Denn wir sprechen hier von einem Mandat, das allgemein auf etwa 50 Prozent der Arbeitszeit veranschlagt wird. Einige nehmen es ernster und wenden mehr Zeit auf, andere mogeln sich mit dem Minimum durch. Aber wie auch immer: Ich bin bereit, unseren geliebten Volksvertretern den Schweizer Durchschnittslohn von 80’000 Franken für ein Vollpensum auszurichten für eine Halbtagsstelle. Bin ich nicht ein guter Mensch?

Meine Sicht der Dinge ist banal. Wenn jemand wirklich nicht zufrieden ist mit 80’000 Franken für eine Präsenz von zwölf Wochen Session pro Jahr plus einige Kommissionssitzungen und Fraktionssitzungen (an denen es garantiert auch was zu essen gibt), hat er nichts verloren in diesem Amt.

Bei der SRG sind 200 Franken genug (beziehungsweise zu viel), bei nationalen Parlamentariern sind 80’000 Franken genug (beziehungsweise zu viel). Aber wir lieben ja alle den Kompromiss. Wäre ich gewählt worden, wäre es nur schon spannend gewesen, zu beobachten, wie die 245 Kollegen in den beiden Kammern auf diesen Vorschlag reagieren – und wie sie begründen, dass sie fast doppelt so viel erhalten müssen.

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