Die liebevollste Beleidigung des Jahres

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Die Schlagzeile: «Darum gehen bei SRF momentan so viele Beschwerden ein» (Blick vom 24.4.24) / «Tristan Brenn, der Erklärbär von Leutschenbach, ist wieder einmal gefordert» (NZZ vom 26.4.24)

Der erste Gedanke: Ich verneige mich vor NZZ-Redaktorin Christina Neuhaus. Auch wenn sie mir eine Tastatur schuldet. Die alte musste ich entsorgen, nachdem ich bei der Lektüre ihres Artikels über SRF-Chefredaktor Tristan Brenn Kaffee darüber gesprustet hatte. Was für eine exakte, schonungslose und gleichzeitig höfliche Bilanz seines Wirkens – oder besser Nichtwirkens.

Die Analyse: Tristan Brenn ist «der Erklärbär von Leutschenbach». Allein für diese Bezeichnung im Titel hat Christina Neuhaus einen Journalismuspreis verdient. Die Bezeichnung «Erklärbär» beschreibt eine Person, die bestimmte Sachverhalte häufig und ausführlich wiederholt. Das ist es, was Tristan Brenn macht. Nicht unter anderem, sondern – zumindest wahrgenommen – ausschliesslich. Er ist kein Chefredaktor, sondern eine Art Abteilungsleiter für Krisenkommunikation.

Brenn nimmt nämlich die Rolle des Chefredaktors so wörtlich, dass er nur «cheft», aber nicht «redaktort». Sein Name ist deshalb auch nur Insidern geläuft. Die NZZ dazu:

  • «Das liegt daran, dass er in zehn Amtsjahren keinen einzigen Beitrag oder Kommentar verfasst hat.»
  • «Dafür, so erzählte er es kürzlich dem Hoforgan von Leutschenbach, der Programmzeitschrift ‚Tele‘, setzt er sich mehrmals pro Jahr für eine Woche in den Newsroom, um den Posten eines ‚Chefs vom Dienst‘ zu versehen.»

Der Mann ist also ein Meister des Delegierens. Ein Chef vom Dienst im Journalismus ist eine Art Scharnier zwischen verschiedenen Bereichen, er produziert nicht, sondern steuert. Aber vielleicht ist es auch gar nicht so übel, dass Tristan Brenn keinerlei Ehrgeiz hat, selbst Inhalte herzustellen.

Was macht er sonst noch so? Eben: Den «Erklärbären» spielen. Christina Neuhaus dazu:

  • «Denn immer, wenn das Fernsehen SRF unter Druck kommt, tritt er vor die Kamera oder wendet sich in den sozialen Netzwerken an sein Publikum.»
  • «Das war so während der Pandemie, als er glaubte, seine Anstalt gegen ‚Diffamierungen und Verschwörungstheorien‘ verteidigen zu müssen.»
  • Statt sich mit der ziemlich unkritischen SRF-Berichterstattung über die Corona-Politik zu befassen, versicherte er dem Publikum, dass SRF – wie auch der Bundesrat – alles richtig gemacht hätten.»
  • «Der Beitrag endete mit dem Versprechen, auch weiterhin nicht alle Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Für abstruse Behauptungen sei bei SRF kein Platz.»

An der päpstlichen Unfehlbarkeit seines Senders hält Brenn weiter fest. Selbst als deutsche Medien peinlich berührt über die Enthüllungen der RKI-Files berichten mussten. SRF verzichtete grossmütig auf eine Berichterstattung, weil die Lage in Deutschland kaum einen Einfluss auf die Schweiz gehabt habe. Was den Sender seltsamerweise nicht davon abhält, sonst über jeden besprayten Hydranten im Nachbarland zu berichten.

Bei aller Lobpreisung der NZZ gehört hier doch der Hinweis hin, dass der Nebelspalter dieses schizophren anmutende Verhalten bereits vor einiger Zeit kritisiert hat.

Nun aber zur Aktualität laut NZZ:

  • «Seither sind vier Wochen vergangen, und schon wieder ist Brenn gefragt.»
  • «Bei der Ombudsstelle der SRG sind im vergangenen Jahr 836 Beschwerden eingegangen. Zehn Jahre zuvor waren es noch 180 gewesen – alle zwei Tage eine. 2023 waren es zwei pro Tag.»
  • «Das lässt sich natürlich erklären. Für das Format ‚Hallo SRF!‘ stellt sich der Chefredaktor vor die Kamera, die Haare wild, der Blick bestimmt, die Fingerspitzen zum Dreieck gelegt – wie ein katholischer Pfarrer beim Ehevorbereitungsgespräch.»
  • «Es stimme, die Zahlen seien massiv gestiegen, doch dafür gebe es Gründe: Corona, der Ukraine-Krieg, der Nahe Osten.»​​​
  • «An SRF jedenfalls könne es nicht liegen. Denn von den 836 Beschwerden habe die SRG-Ombudsstelle nur 35 unterstützt.»

Erklärbären sind eben da, um anderen Leuten die Welt zu erklären. Und nicht etwa, um sich selbst zu hinterfragen. Der Chefredaktor befehligt offenbar ein Heer von journalistischen Titanen, die nie Fehler machen und geschützt werden müssen vor unberechtigter Kritik. Diese Leute aufzufordern, sich allenfalls weiterzuentwickeln und dazu zu lernen, wäre eine Gotteslästerung.

Es kommt noch lustiger. Tristan Brenn beantwortet in seiner an DDR-Pressekonferenzen erinnernden Selbstdarstellung die Frage, ob die Qualität von SRF schlechter geworden sei, so:

  • «Ich möchte an dieser Stelle nicht die Qualität von SRF bewerten – das müssen unsere Nutzerinnen und Nutzer tun»

Liebe Chefredaktoren anderer Medien, ihr seid ab sofort zeitlich entlastet. Ihr müsst keine interne Qualitätskontrolle machen und könnt einfach wegschauen, wenn eure Leute versagen. Stattdessen wartet ihr auf Kritik vom Publikum. Und widersprecht ihr sogleich heftig.

Frage an Radio Eriwan: Wie kann sich SRF verbessern, wenn den Chefredaktor die eigene Qualität nicht interessiert und er jeden Zweifel von aussen reflexartig niederknüppelt?

Der Ausblick: Wir sprechen hier von SRF, wo der damalige Bundesrat Alain Berset das Publikum über die Wirkung der Corona-Impfung anlügen dürfte, ohne dass ihn jemand gestoppt hätte. Es ist verständlich, dass Tristan Brenn lieber Ausflüchte bringt als Fehler im eigenen Laden zu suchen. Denn sonst hätte er von einem Tag auf den andern richtig viel zu tun.