Fast 30 Prozent sind übrigens nur 8 Prozent. Schon gewusst?

Die Tage nach Wahlen sind immer sehr erhellend. Sie zeigen, wer nicht besonders hell auf der Platte ist. Zum Beispiel Journalisten, die aktuell zeigen wollen, dass die SVP eigentlich gar nicht von so vielen Leuten gewählt wurde.

Zuerst hörte ich die These zufällig auf SRF1, das Hörer einlud, sich zu den Wahlen zu äussern. Ein der Stimme nach älterer Herr regte sich darüber auf, dass die SVP nach ihrem Sieg so hochgeschrieben worden sei. Denn ihre fast 30 Prozent Wähleranteil beziehen sich ja nur auf die Leute, die auch gewählt haben, was nicht mal die Hälfte der Stimmberechtigten sei. Ergo sei sie nicht wirklich von fast 30 Prozent der Schweizer gewählt worden.

Äh, ja. Klar. Das kommt jedes Jahr. Nur wird beim Wähleranteil derjenige Anteil der Leute gemessen, die wirklich gewählt haben. Und die Rechnung dieses lustigen Herrn gilt natürlich auch für SP, Grüne, FDP usw. Auch deren Wähleranteil würde massiv schrumpfen, wenn man – dämlich genug – die Nichtwähler in die Rechnung miteinbeziehen würde. Am Verhältnis der Parteistärke würde sich damit gar nichts ändern. Was soll es also?

Watson, das Organ aller Kätzlivideos und Listicles, legt hier noch einen oben drauf. «Weniger als 8 Prozent der Schweizer Bevölkerung» hätten SVP gewählt, schreiben die lustigen Gesellen dort. Darauf folgt eine Grafikorgie, was völlig in Ordnung ist, da die Watson-Leute sicher eher mölele als schreiben können.

Die Grundthese: Rechnet man alle ein, die in der Schweiz LEBEN, also auch solche ohne Schweizer Pass, und auch noch die Auslandschweizer und sicherheitshalber auch noch gleiche alle unter 18 Jahren, dann kommt man auf eine Bevölkerung von fast 10 Millionen, dann lag die Stimmbeteiligung bei 28 Prozent, und dann war die SVP eben nur bei 8 Prozent.

Auch hier: Aus irgendwelchen Gründen rechnet uns die Onlinezeitung nicht vor, wie viel Prozent der Leute nach diesen Massstäben die Grünen gewählt hätten. Allenfalls im Minusbereich? Und warum hat man nicht einfach gleich die Weltbevölkerung genommen, um aufzuzeigen, dass in Wahrheit nur 0,00000000001 oder so die SVP gewählt haben?

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Solche Rechenspiele, die sich nicht an der Realität des Schweizer Wahlsystems orientieren, machen keinen Sinn. Oder höchstens denjenigen, einen glanzvollen Wahlsieg runterzuschreiben. Erinnert sich jemand daran, dass Watson solche Spielereien 2019 gemacht hat, als Grüne und Grünliberale massiv zulegten? Natürlich nicht, weil das nicht geschehen ist. Man will doch die Wähleranteile von linksgrünen Parteien nicht durch eine verzerrte Rechnung verkleinern. Das macht man nur bei der SVP.

Jeder Wähler, der am Sonntag seine Stimme abgegeben hat, egal für welche Partei, müsste sich angesichts solcher Idiotien verschaukelt vorkommen. Stimmberechtigt sind nur Schweizer Bürger ab 18 Jahren, und wer nicht wählt, zählt nicht. So einfach ist das, und es heisst aus einem bestimmten Grund WÄHLERanteil und nicht BEVÖLKERUNGSanteil. Manchmal kommt man sich in der Schweizer Medienlandschaft vor, als müsste man einem Kleinkind erklären, warum es nicht fliegen kann wie ein Vogel.

Ja, in der Tat haben nicht fast 30 Prozent aller in der Schweiz lebenden Menschen ab Altersjahr 0 die SVP gewählt. Dass Watson glaubt, uns das mitteilen zu müssen, ist schlimm genug. Dass der Autor offenbar ernsthaft noch das Gefühl hat, diese Erkenntnis habe irgendeine Relevanz, ist noch schlimmer.

Aber immerhin kann man als Watson-Leser das sichere Gefühl haben, intelligenter zu sein als die Leute, die das Medium befüllen. Das ist ja auch was.

Nachtrag: Auch beim Tages-Anzeiger gibt es Verwirrte.

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