Lieber Maskenverkäufer Markus (ein offener Brief)

Seit Monaten will mich ein gewisser Markus davon überzeugen, Schutzmasken gegen Covid-19 zu kaufen. Und am besten ein Test-Set obendrauf. Und noch ein paar weitere absolut unverzichtbare Tools gegen die furchtbare Gefahr. Lieber Markus, wer auch immer Du bist : Kannst Du morgens eigentlich noch in den Spiegel schauen?

Lieber Markus von schutzmasken.ch:

Wir kennen uns nicht. Aber Du kümmerst Dich dennoch rührend um mich. Im Wochentakt, mindestens, informierst Du mich darüber, dass Covid-19 noch immer eine grosse Bedrohung darstellt, dass jederzeit neue Massnahmen kommen könnten und ich doch bitte bei Dir Anti-Corona-Utensilien bestellen soll, um meine Eigenverantwortung wahrzunehmen.

Und Du tust das weiterhin, auch wenn ich bisher nicht zu Deinen Kunden gehöre. Diese Fürsorge trotz aller Ignoranz berührt mich zutiefst. Aber ich möchte Dir dennoch einige Dinge mit auf den Weg geben.

Zunächst: Spam-Nachrichten sind im Jahr 2022 unvermeidlich. Ich könnte mir täglich Fett absaugen, Haare ansetzen und den Penis vergrössern lassen. Und in der Tat hätte ich zwei der drei Dinge durchaus nötig (Auswahl bitte selbst fällen).

Aber weil ich davon ausgehe, dass Leute, die mich blindlings in einem Massenversand anschreiben, nicht gerade vertrauenswürdig sind, kam es bisher zu keiner Bestellung. Dann bleibe ich eben an den falschen Stellen fett beziehungsweise haarlos (womit auch die Frage oben aufgelöst wäre). Ich bin 50, ich darf Problemzonen haben. Oder sogar eine Problemzone sein. Bisher hat das niemanden gestört, der mir wichtig ist.

Texte wie diesen machen SIE möglich. Mit Ihrer Unterstützung.

Und nun zu Deinen Verkaufsaktivitäten.

Ich bin seit über 20 Jahren unternehmerisch tätig und habe Verständnis dafür, dass man seine Produkte verkaufen muss. Mühe habe ich nur, wenn man das tut, indem man absurde Ängste der manipulierten Masse ausnützt. Was Du fleissig tust. Ich stelle hier mal kurz die Mailüberschriften der letzten paar Newsletter (die ich niemals abonniert habe) zusammen:

  • «Die neue Variante ist da!»
  • «Neue Variante verbreitet sich»
  • «Schützen Sie sich noch?»
  • «Was ist BA 2.75.2?»
  • «Die aktuelle Lage!»

Neidlos muss ich anerkennen: Du stellst Dich jeweils gut auf eine neue Situation ein. Als die Impfung als Mass aller Dinge galt, hast Du Deine Schutzmasken als perfekte Ergänzung verkauft. Als allmählich sehr offensichtlich wurde, wie unwirksam die Impfung ist, hast Du Deine Schutzmasken zum einzig sinnvollen Gegenmittel zum Virus befördert. Wann immer Medien von einer neuen Covid19-Variante berichten, glüht bei Deinem Team sofort die Tastatur. Schnell die durch die Medien verunsicherte Bevölkerung mit dem ultimativen Angebot beglücken!

3 Franken kostet bei Dir ein «Covid19-Antigen-Schnelltest», den Du im Fünferpack verkaufst. Sogenannte «Nitril-Handschuhe» hast Du auch im Angebot, was auch immer das ist. Und natürlich eine Box mit 50 Stück der «TYP I Schutzmasken» für 2.50 Franken das Exemplar. FFP2-Masken gibt es auch für Leute, die ganz sicher gehen wollen (und für Karl Lauterbach, der sie minütlich wechselt). Für Kinder hast Du passende Grössen bei der Maske, es gibt weitere Masken-Typen und natürlich Farbvariationen. Das volle Programm. Man will seinen Kunden ja schliesslich eine Vielfalt bilden.

Ich bin zwar kein Kunde bei Dir und werde es auch nie sein. Aber Mails kosten ja nichts. Hauen wir die Dinger doch einfach mal raus, und irgendwas wird schon hängen bleiben, nicht? Gute Geschäftstaktik. Ich nehme an, Du bekommst viele Bestellungen, ansonsten hättest Du die aggressive Verkaufsmethode längst eingestellt. Reicht es schon für den ersten Ferrari? Oder nur für einen Tesla?

An Deiner Stelle würde ich Alain Berset, dem Bundesamt für Gesundheit und den Mitgliedern der einstigen Task Force mal einen satten Früchtekorb schicken. Die haben schliesslich grandiose Vorarbeit für Dein Unternehmertum geleistet. Wir warten heute noch auf einen Beleg für die Wirksamkeit von Masken, während ihre Schädlichkeit für das Immunsystem längst belegt ist. Covid19-Tests bei gesunden Leuten sind schlicht purer Unsinn. Und Leute, die mit einer FFP2-Maske herumlaufen, kann ich sowieso nicht ernst nehmen. Aber dank der Hilfe der erwähnten Kreise bringst Du das Zeug sicher immer noch unter die Leute. Die haben Angst gesät, und deshalb klingelt bei Dir die Kasse.

Ich weiss nicht, ob ich Geld machen wollen würde aufgrund einer absurden Angstkampagne. Beziehungsweise, doch: Ich weiss, dass ich das nicht will. Du schon. Du hast kein Gewissen. Du interessierst Dich nur für die Anzahl der Bestellungen. Wie viele Dumme hast Du in den letzten Wochen gefunden, die sich eindecken mit Produkten, die kein Mensch braucht?

Rein unternehmerisch betrachtet habe ich Hochachtung vor Dir. Du hast eine Situation vorgefunden und sie geschickt ausgenützt. Menschlich gesehen ist meine Perspektive eine andere.

Aber es hat mich interessiert, wer Du so bist und was Du so machst. Die Firma hinter schutzmasken.ch heisst Monsen GmbH in Luzern. Die ist vielseitig aktiv. Sie verkauft auch CBD-Hanf. Das ist mir durchaus sympathisch. Oder auch dieses Produkt: «Der Hingucker für jedes Fahrzeug: hochwertige Kennzeichenhalter in vielseitigen Designs.» Spannend. Ich schliesse daraus, dass Deine Firma einfach ein Handelsunternehmen ist. Ihr kauft irgendwo Zeugs ein, vermarktet es und verramscht es mit Aufpreis weiter. Völlig egal, was es ist.

Damit habe ich kein Problem. Das nennt man Marktwirtschaft. Ich bin selbst auch überaus anfällig für Ramsch. Meine Freundin kann ein Lied davon singen. Mich fängt man schnell ein mit einer guten Werbeeinblendung auf Instagram. Und schon habe ich etwas bestellt, das die Welt nicht braucht – und ich schon gar nicht.

Aber was ich garantiert nie tun werde: Jemanden belohnen, der die grassierende Panik für den persönlichen Profit benutzt. Der sich freuen würde über eine Neuauflage der Maskenpflicht, weil dann der Rubel rollen würde.

Ich frage mich gerade, ob Du Kinder hast. Und irgendwann Enkelkinder. Willst Du denen dereinst wirklich erzählen, womit Du damals Dein Geld verdient hast?

Danke für Ihren freiwilligen Beitrag. Alle Informationen dazu gibt es hier.

Ein weiterer Beleg dafür, dass die Welt spinnt

Kennen Sie die Ladenkette namens «SportXX»? Sie müssen sich umgewöhnen. Neu heisst das Ding «SportX». Warum? Ist doch klar, weil… äh, Verzeihung. Es ist doch nicht klar. Nur wissen wir nun endgültig, warum Ausserirdische bei uns nicht landen wollen.

Das dreifache X, also «XXX», erinnert die meisten von uns irgendwie an unanständige Dinge. Es ist ein Kürzel, das sich für digitale Angebote im Bereich der Unterhaltung für Erwachsene durchgesetzt hat.

Nun könnte man sich fragen, was das genau mit einem Anbieter im Bereich Sportbekleidung und Sportgeräte unter dem Dach der Migros zu tun hat. Dieser hiess bis vor kurzem «SportXX», neu nur noch «SportX». Weil es negative Kundenreaktionen gegeben habe. Das doppelte X hat dazu geführt. Nachlesen kann man das unter anderem hier.

Wir könnten nun lange darüber diskutieren, was das genau für Leute sind, die hinter XX im Zusammenhang mit einem Sportartikelanbieter etwas Verdächtiges vermuten. Leute, die zu dumm sind, zwei X von drei X zu unterscheiden? Leute, die selbst so tief in den pornografischen Sumpf geraten sind, dass der Buchstabe X für sie in jeder Menge nur noch eines heissen kann, selbst wenn die Rede nur von «Xaver» oder «Xylophon» ist?

Mehr von Texten wie diesen? Das gibt es – dank Ihrer Unterstützung.

Es ist eine überflüssige Frage. Heute gewinnt, wer sich am schnellsten und über die absurdesten Dinge möglichst lautstark empört. Deshalb muss natürlich auch «SportXX» etwas Schlimmes sein. Und «SportX» ist die Lösung aller Probleme.

Viel schlimmer ist, dass ein Gigant wie die Migros auf solche Ausfälle des gesunden Menschenverstands reagiert und den Namen der Tochterfirma wirklich und wahrhaftig anpasst. Obwohl es dafür keinerlei Anlass gibt. Einfach, weil es das Gefühl vermittelt, man nehme sich aktiv eines Problems an, obwohl es ja nicht einmal ein Problem gab.

Was genau hatten die Empörten zu bemängeln? Dass ein Laden mit dem Namen «SportXX» ihre Kinder umgehend in die Welt der Pornografie führt, obschon a) immer noch ein X fehlt und b) in dem Laden nachweislich nur Sportprodukte zu finden sind? Und was genau überlegt sich die Migros-Tochter, wenn sie auf diese absurden Ängste mit einer sehr teuren, sehr aufwändigen Namensänderung reagiert?

Meine These, dass die Welt spinnt, und das auf dem schmalen Grad zum völligen Überschnappen, wurde jedenfalls mal wieder untermauert.

Wenn die Flaggen Trauer tragen

Die Energiepreise laufen aus dem Ruder. Das trifft vor allem die Wirtschaft. Ein Unternehmer in Österreich ruft zum Protest auf – und setzt seine Fahnen auf Halbmast

Gerhard Hackl ist Eigentümer des Traditionsunternehmens «Haka» in Oberösterreich. Die Firma produziert Küchen und beschäftigt rund 200 Mitarbeiter.

Der Hauptsitz in Traun ist mit einer langen Reihe von Fahnenstangen besetzt. Derzeit hängen die Flaggen auf Halbmast.

Hackl ist nicht etwa untröstlich über den Tod der Queen oder den Rücktritt von Roger Federer. Die Aktion ist sein persönlicher Protest gegen die Politik in Österreich.

Die steigenden Kosten für Energie und Rohstoffe seien für Betriebe wie seinen nicht mehr zu stemmen, sagt der Firmenchef in einem Video auf Facebook. Sie seien die Folge von «nicht nachvollziehbaren politischen Entscheidungen».

Hackl fordert seine Unternehmerkollegen auf, es ihm gleich zu tun: «Wir müssen Österreich wieder in den Griff kriegen. Wir dürfen nicht zuschauen.» Die Fahnen auf Halbmast im ganzen Land seien ein starkes Zeichen an die Politik, dass sich etwas ändern müsse.

Ob ihm viele folgen, ist nicht bekannt. Als reine Jammerei kann man den Aufruf aber nicht abtun.

Die Wirtschaftskammer von Oberösterreich schlägt ebenfalls Alarm. Die Teuerung geht an die Existenz, energieintensive Betriebe stehen am Rand des Abgrunds. Die gestiegenen Kosten lassen sich nicht einfach über die Preise weitergeben, denn den Konsumenten fehlt das Geld.

Mit der Hilfe der Medien im Land darf der Unternehmer nicht rechnen. Dort scheint der Ernst der Lage noch nicht angekommen zu sein.

Zum ruhigen, gefassten Auftritt des Küchenbauers setzt die Tageszeitung «Heute» den Titel: «Firmenchef wütet in Facebook-Video».

Das sagt schon alles.

Der «Blick»-Chef in Euphorie: Er durfte ins Metaverse!

Da hat einer so richtig Freude. «Blick»-Chefredaktor Christian Dorer befindet sich am WEF und erhielt dort Einlass zu Mark Zuckerbergs «Metaverse». Davor und danach gabs reichlich zu futtern. Zwischen Häppchen und Wein wird natürlich jeder Anflug von kritischem Nachdenken erstickt. Was ja auch das Ziel der WEF-Veranstalter ist, wenn sie Medienschaffende einladen.

Niedergeschlagen? Traurig? Deprimiert? Dann sollte man sich diesen Videoclip geben. Irgendwo mittendrin kommt nämlich ein richtiger Stimmungsaufheller: Ein Mann mittleren Alters, der sein Glück selbst nicht fassen kann.

So viel Begeisterung habe ich nicht mal erlebt, als vor einigen Wochen zwei junge Kätzchen bei meinen Kindern einzogen. Im Gegenteil, der bewusste Mann toppt die Reaktion meiner Mädchen locker. Aber es ist nicht nur Freude, nein, auch sichtbarer Stolz. Denn er gehört jetzt richtig dazu!

Die Rede ist von Christian Dorer, dem Chefredaktor des «Blick». Der hält sich aktuell standesgemäss am WEF auf. Dort sind übrigens auch die «grössten Experten der Welt» versammelt, wie Dorer weiss.

Möglicherweise hat er sich ja in der Tür geirrt. Das «World Economic Forum» ist in erster Linie ein Stelldichein der Mächtigen, das der Vernetzung dient, es ist kein Wissenschaftskongress. Natürlich gibt es auch Leute aus allen möglichen Fachbereichen. Aber ernsthaft zu behaupten, nur die «grössten Experten» hätten eine Einladung erhalten, und wer nicht dort ist, der ist maximal die Nummer 2, das muss man sich selbst schon sehr eifrig einreden, bis es klappt.

Aber das nur nebenbei, nun zum Wichtigen. Zum Beispiel: Dorer wurde von einer Grossbank zum Frühstück eingeladen (der Inserateverkauf bei Ringier jubelt schon mal), wo die Anwesenden alle 15 Minuten den Platz wechseln mussten, damit es auch niemandem mit dem Tischnachbarn langweilig wird, pardon, damit sich das illustre Völkchen ein bisschen durchmischt.

Ich persönlich müsste nicht jede Viertelstunde mit der Kaffeetasse in der Hand zu einem neuen Platz geschickt werden. Doch selbst das scheint dem «Blick»-Chefredaktor irgendwie gefallen zu haben, immerhin traf er dort auf den CEO der Bank, den Verwaltungsratspräsidenten und Geschäftsleitungsmitglieder, wie er uns wissen lässt. Leute auf seiner Augenhöhe eben!

Doch danach nähern wir uns dem Höhepunkt der Erzählung. Beziehungsweise Christian Dorer tut das, wie ein Blick in sein Gesicht verrät. Er erzählt, wie er sich ins «Metaverse» begeben durfte, die jüngste Schöpfung von Mark Zuckerbergs Firma «Meta», unter der unter anderem Facebook läuft. Das Metaverse ist eine Art Kombination aus realer und digitaler Welt, in die man dank einer speziellen Brille eintaucht.

Gamer kennen so etwas schon lange, es ist inzwischen einfach ein bisschen weiter fortgeschritten. Hört man Dorer zu, hat man aber das Gefühl, er sei soeben über den Heiligen Gral gestolpert und gleich daneben lag die seit Jahrtausenden verschollene Bundeslade und bei dieser Gelegenheit habe er zudem auch noch Atlantis entdeckt.

Begeisterungsfreude ist ja etwas sehr Sympathisches. Weniger sympathisch ist es, mitanzusehen, wie ein Chefredaktor eines Grossverlags sich von einem Frühstück mit Bankern und einem kurzen Ausflug in eine virtuelle Welt derart verzücken und einlullen lässt, dass er mit Garantie nicht im Traum auf die Idee kommen wird, das WEF und seine Macher auch nur für eine Sekunde kritisch zu hinterfragen.

Der «Blick» ist regelrecht «embedded» in Davos. Wir dürfen uns also auf weitere hurrakreischende Berichterstattungen freuen.

Weshalb Milliardäre gern links ticken

Hansjörg Wyss ist milliardenschwer. Der Berner, der seit Jahrzehnten in den USA lebt, lässt am liebsten für linke Ideale Geld springen. Denn man geht im Jahr 2022 nur positiv in die Geschichte ein, wenn man mal kurz die Welt rettet. Egal, wie hoch der Preis der gesamten Gesellschaft ist.

Die Geschichte klingt in etwa so, wenn man die Erklärungen und Äusserungen von Superreichen zusammenfasst, die Bewegungen und Organisationen aus dem linken Spektrum unterstützen:

«Ich war in meinem Leben sehr begünstigt, ich hatte viel Glück, und ich will der Gesellschaft etwas davon zurückgeben, deshalb unterstütze ich mit meinem Vermögen Dinge, welche der ganzen Welt nützen.»

Dagegen lässt sich schwerlich etwas sagen. Nun braucht man nur noch eine Jury, die aussiebt, welche Projekte und Ideen der Gesellschaft dienen. Wobei das natürlich der Reiche selbst definieren kann, es ist ja sein Geld. Aber es klingt stets so, als gäbe es eine fixe Definition für das, was richtig für die Welt ist, die gefälligst für alle zu gelten hat.

Wenn jemand in Afrika eine Schule baut, ein Naturschutzgebiet unterstützt oder Hilfe für eine Region nach einer Naturkatastrophe leistet, kann man die Sinnhaftigkeit nicht ernsthaft hinterfragen. Das kann im Grunde nicht falsch sein. Im Detail liesse sich vielleicht prüfen, ob Organisationen berücksichtigt werden, die mit dem Geld richtig umgehen, die also nicht alles in die Verwaltung oder den Lohn des CEO stopfen und so weiter. Aber von der Absicht her sind das unstrittig edle Vorhaben. Und übrigens auch weder «linke» noch «rechte» Absichten. Das hat mit Politik nichts zu tun.

Allerdings haben vor allem Linke die Tendenz, sich diese Themen nach und nach anzueignen. Alles, was danach klingt, dass es nötig ist, damit die nächste Generation noch einen Planeten hat, wird in der öffentlichen Debatte von Links-Grün zielsicher vereinnahmt.

Nehmen wir den Klimaschutz. Die Welt und damit wir Menschen sind darauf angewiesen, dass das Klima nicht ausser Rand und Band gerät. Aber tut es das wirklich? Wenn ja, wie dramatisch und schnell tut es das? Und wenn ja, ist der menschliche Anteil dafür ausschlaggebend oder etwas anderes? Können wir selbst etwas bewirken, und wenn ja, ist es das, was uns heute als Lösung verkauft wird?

Diese Fragen darf man heute nicht mehr stellen. Der Klimawandel wird von der Politik und medial unterstützt als allein vom Menschen verursacht verkauft, nur eine Verhaltensänderung und entsprechende Gebote und Verbote können entsprechend das Problem lösen – und mit dieser Definition der Wahrheit wird aus dem Klimaschutz ein linkes Vorhaben.

Denn alles, was wir angeblich sofort tun müssten, um das Klima zu retten, entspricht seit Urzeiten der Agenda der Linken. Weniger individuelle Mobilität, weniger Flugzeugreisen, weniger oder noch besser kein Fleischkonsum, nur noch alternative Energieerzeuger und so weiter. Das, was Links-Grün sowieso schon immer durchsetzen wollte, hat in der Klimadebatte das perfekte Vehikel gefunden. Natürlich in Verbindung mit der bewährten Diffamierungstechnik: Wer Zweifel an der segensreichen Wirkung dieser Massnahmen hat, ist ungebildet oder verrückt oder ein Rechtsextremer. Eben wie bei Zweifeln an der Coronapolitik.

Doch was hat das mit Milliardären zu tun?

Meine nicht durch Studien belegbare These ist, dass es um eine späte Sinnsuche und um den Versuch, sich ein ehrendes Andenken zu bewahren, geht.

Hansjörg Wyss, 86, wurde so richtig reich, als er die Orthopädiefirma Synthes verkaufte. Sein Vermögen wird aktuell auf rund 5 Milliarden Dollar geschätzt. Mal waren es 12, mal 7 oder 8, aber seien wir ehrlich: Es macht keinen grossen Unterschied. Sicher ist, dass der Mann, nicht nur angesichts seines Alters, keine finanziellen Alltagssorgen hat, ebenso wenig die Leute, die einst sein Erbe antreten. Er hat also viel Zeit, nachzudenken.

Vielleicht auch darüber, was von ihm bleibt, wenn er mal nicht mehr ist. Die 5 Milliarden sind eine blosse Zahl, zu astronomisch, um sich eine Vorstellung zu machen. Die Zahl belegt, dass Wyss als Unternehmer etwas drauf hatte und vieles richtig gemacht hat, ökonomisch gesprochen. Aber über den Menschen sagt sie nichts aus. Und die meisten von uns wollen nach dem Ableben nicht als «der Reiche» oder «der erfolgreiche Firmengründer» erinnert werden, sondern aufgrund unserer persönlichen Werte. Wie war der so, was hat er bewirkt?

(An mich beispielsweise, nur als kleiner Einschub, würde man mich im Fall meines Todes in diesen Tagen erinnern als einen, der unzählige Menschenleben auf dem Gewissen hat, weil er die Coronamassnahmen kritisiert hat. Nicht schön, aber da lässt sich nichts mehr dran ändern. Und es gibt ja auch einige Leute, die das anders beurteilen.)

Besser macht man es, indem man sich für das engagiert, was eine Mehrheit – vielleicht ist es auch nur eine besonders lautstarke Minderheit mit guter politischer Vernetzung – als gut, richtig und edel ansieht. So entsteht eine Art Vorbild-Denkmal. Und der Zeitgeist tickt nun einmal so, dass fast alles, was uns täglich als vorbildlich verkauft wird, irgendwie links angehaucht ist. Beziehungsweise: Das, was Linke wollen, wird zur schieren Notwendigkeit hochstilisiert, bis es alle glauben.

Zurück zu Hansjörg Wyss. Dieser hat über seine Stiftung schon mächtig viel Geld ausgegeben für Dinge, an denen man auf den ersten Blick kaum herummäkeln kann, beispielsweise den Schutz der globalen Artenvielfalt. Es klingt jedenfalls unwidersprochen gut. Niemand will, dass möglichst viele Arten aussterben. Jeder will Artenvielfalt.

Die gesellschaftliche Aufgabe ist es aber, sich zu fragen: Zu welchem Preis geschieht das? Ist die Forderung nach einem Schutz ultimativ und soll unbesehen von anderen Auswirkungen realisiert werden? Wie genau soll die Artenvielfalt gesichert werden, und welche Folgen hat das auf andere Lebensbereiche?

Gemeint ist ja nicht, dass man tausende von Reservoirs schafft, in denen die letzten Exemplare einer Art geschützt leben. Es geht um den Erhalt der natürlichen Lebensräume dieser Arten. Und das geht nicht ohne Veränderung. Deshalb muss man sich stets die Frage stellen: Was bedeutet das für uns? Für die Art, wie wir leben und leben wollen? Welche Einschränkungen bringt das mit sich? Was kommt dabei allenfalls unter die Räder?

In die gleiche Kategorie geht der «Green New Deal», eine weitere Spielwiese von Wyss, mit der er 30 Prozent der Landes- und Ozeanfläche unter Schutz stellen will. Das kann man wollen, das kann man anstreben, aber eben: Zu welchem Preis? Gibt es, ich frage ganz unschuldig, allenfalls hoch willkommene, wichtige Projekte für die Menschheit, die nicht mehr möglich wären, wenn diese 30 Prozent geschützt würden? Verschwänden vielleicht auch die «falschen» Dinge unter den Schutzbemühungen?

Aber damit bin ich schon in den Details. Und muss mich fragen: Darf man es sich leisten, nach einer Güterabwägung zu einem dieser Schutzprojekte und seinen Folgen zu sagen: «Das geht mir zu weit» – ohne dann als naturfeindlicher Unmensch zu gelten?

Der Weg von Wyss ist risikolos. Er spendet dorthin, wo niemand Fragen stellen kann. Ich glaube ihm durchaus, dass er überzeugt ist, der Welt über seinen Tod hinaus einen Dienst zu leisten, indem er Geld vornehmlich in den Schutz der Umwelt steckt. Nur wissen wir aus Erfahrung, dass das heutzutage immer mit einem Nebeneffekt kommt: Dem Umbau der Gesellschaft.

Früher galt es als Naturprojekt, wenn man als Schulklasse ein Waldstück von Abfall befreite. Heute muss man zu Fuss gehen und sich pflanzlich ernähren, um mit gutem Gewissen behaupten zu können, sich für die Umwelt einzusetzen. Es muss immer das ganze Paket sein. Falls Sie früher drei Mal pro Jahr in die Ferien geflogen sind und nun nur noch einmal in zwei Jahren: Sorry, reicht nicht. Sie sind geflogen, und damit sind Sie ein Klimaschädiger. Die totale Konsequenz oder gar nichts: Das ist das Motto.

Gerade eben hat Greenpeace ein Werbeverbot für tierische Produkte wie Fleisch, Eier und Milch gefordert. Abgesehen von einzelnen Branchenvertretern hat das bei niemandem für Aufregung gesorgt. Die Forderung hätte an der Urne derzeit vermutlich nicht gerade eine Mehrheit, aber entscheidender ist: Besonders auffallen tut man mit ihr heute nicht mehr. Man kann inzwischen regelrecht alles verlangen, völlig egal, wie tief es in Gesellschaft und Wirtschaft eingreift, wenn nur der «richtige» Zweck dahinter steht.

Das wirkt sich aus. Die Erfahrung zeigt, dass die Politik zwar selten auf Maximalforderungen eingeht, aber die laute Empörung über fossile Brennstoffe, Flugreisen oder Fleischkonsum gern zum Anlass nimmt, immerhin ein bisschen an der Schraube zu drehen. Ein kleines Entgegenkommen quasi. Man will ja wiedergewählt werden, und da hilft ein Shitstorm auf Twitter nicht wirklich.

Das bedeutet: Dieses Ideal der Lebensführung, das eine sehr laute Minderheit zu dieser erklärt hat, wird auf der politischen Ebene nach und nach zum Standard gemacht, Stück für Stück. Leute wie Hansjörg Wyss helfen mit Geld und ihrem Namen, politische Absichten zu adeln, indem sie den entsprechenden Vorhaben Gewicht und Ressourcen geben. Noch einmal: Nichts gegen Artenvielfalt, der Milliardär könnte sein Geld mit Sicherheit dümmer verjubeln. Aber stellt er sich mit 86 noch die Frage, was danach kommt? Ja, tut er, in Bezug die Arten und die Weltmeere. Aber: Fragt er sich auch, wie unsere Gesellschaft (die aus meiner bescheidenen Sicht heute den besten Stand aller Zeiten hat in Sachen allgemeinem Wohlstand, Umweltschutz, Tierwohl und so weiter) die Einschränkungen verkraftet, die mit seinen hehren Zielen unweigerlich verbunden sind? Wie sich unsere Gesellschaft dadurch verändert, wie die Wirtschaft das verkraftet?

Wie gesagt: Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass Klima, Artenvielfalt, Weltmeere und vieles mehr zuoberst auf der Traktandenliste sind und wir jeden persönlichen Verlust zu tragen haben, um die Ziele zu erreichen, die einige Leute definiert haben. Darf man, klar. Es scheint mir nur nicht sehr ausbalanciert. Eine Gesellschaft ist ein komplexes System, ein Wirrwarr aus sich überkreuzenden und zusammenhängenden Fäden. Wer an einem zieht, löst woanders etwas aus.

Oder weniger abgehoben ausgedrückt:

Wenn wir irgendwann kein Fleisch mehr essen und nicht mehr fliegen dürfen, das Autofahren bis zum Stillstand reglementiert ist und wir ohne Strom da sitzen, weil AKW (übrigens die umweltfreundlichste Art, Energie zu erzeugen) verpönt sind, gleichzeitig aber eine beinahe ausgestorbene Vogelart in Uganda gerade Nachwuchs produziert hat, ist eine Kosten-Nutzen-Rechnung vielleicht nicht ganz doof (wenn auch zu spät).

Denn hinter all dem, was wir heute oder in Zukunft nicht mehr dürfen, ob rechtlich oder moralisch, stehen immer auch Arbeitsplätze und damit Schicksale. Nur sollte man das natürlich nicht offen aussprechen. Denn das hiesse ja, dass man das Wohl der Wirtschaft über dem von Mutter Erde ansiedelt. Jedenfalls wird es so interpretiert. Dabei geht es nur um eine gesunde Balance, es geht darum, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten, nicht ein Problem durch ein anderes zu ersetzen.

Das wird heute aber eben nicht mehr gern gesehen. Deshalb fährt man besser, wenn man sich vorbehaltlos in Umweltschutzprojekte stürzt und den ganzen Rest, der auch noch dran hängt, einfach ausblendet. Können wir uns ja später noch darum kümmern, dass ein paar tausend Menschen in Indonesien keine Lebensgrundlage mehr haben, weil wir gerade den Tourismus ausradiert haben.

Das ist zwar alles andere als verantwortungsvoll, aber es klingt viel süsser in den Ohren der Leute, die heute die öffentliche Debatte bestimmen, als wenn man dauernd lästige Fragen stellt.

Auch Milliardäre wissen das. Und suchen sich deshalb für ihre Spendenbereitschaft gern Dinge aus, bei denen sie davon ausgehen können, dass Twitter jubelt.

Übrigens: Hansjörg Wyss kauft zusammen mit anderen Gutbetuchten gerade den englischen Fussballverein Chelsea. Vielleicht mag er ja einfach Fussball und erfüllt sich damit einen Kindheitstraum. Aber internationaler Spitzenfussball, ist das nicht die Ikone der umweltfeindlichen Konsumwut, der exorbitanten Löhne, verschandeln nicht Weltmeisterschaften in dafür nicht vorbereiteten Ländern auf Generationen hinaus die Landschaft, werden nicht die miserablen Bedingungen der Menschen beklagt, die Stadien bauen müssen?

Scheint auf den ersten Blick etwas widersprüchlich. Aber vielleicht ist das auch Teil eines grösseren Plans. Vielleicht können auf der nicht genutzten Rasenfläche nach abgeschlossener WM irgendwelche seltenen Vögel nisten.

Warenboykott: Der fehlgeleitete Protest

Coop schmeisst die paar Produkte, die aus Russland stammen, aus seinem Sortiment. Da hat mal wieder eine Marketingabteilung hysterisch überreagiert. Oder ist eine Flasche Wodka «made in Russia», die in Hinterpfupfigen verkauft wird, ein Kriegstreiber?

Unternehmen haben auf Papier ethische Richtlinien. In der Praxis wollen sie nur eines: Gewinn machen. Eine Genossenschaft wie Coop ist in dieser Beziehung nicht anders gebaut als ein privater Konzern mit Sitz in Zug. Wenn ein Unternehmen aufgrund einer aktuellen Debatte etwas nicht mehr anbietet, dann tut es das nicht, um den Weltfrieden herzustellen. Es fürchtet sich schlicht vor einem Shitstorm.

Coop setzt da voll auf Prävention. Aktuell gibt es noch keine grossen Diskussionen darüber, dass man in unseren Läden auch das eine oder andere Produkt aus Russland kaufen kann. Vorsichtshalber schmeisst der Detailhändler sein bescheidenes Angebot, das von dort stammt, nun aus dem Sortiment, wie hier berichtet wird. Globus hat es ebenso getan.

Der Schritt erfolgt ohne jede gesetzliche Vorgabe, die Schweiz hat keinen Boykott russischer Produkte ausgerufen. Coop will einfach signalisieren, wie unendlich vorausschauend und konsequent und politisch korrekt man ist. Es ist ein billiger Trick, um nicht Opfer möglicher Empörungswellen zu werden, die dank Twitter und Co. ja schnell überschwappen. Es reicht ein einzelner von seinem alltäglichen Leben offenbar frustrierter Kunde, der ein paar Tiefkühlfische aus Russland in einem Ladengestell fotografiert und das Bild in den sozialen Medien publiziert, verbunden mit einem anklagenden Aufschrei. Der Mohrenkopf lässt grüssen. Erstaunlich, wie angreifbar ein Detailmulti heutzutage ist. Und wie wenig es braucht, um ihn einzuschüchtern.

Hinter Produkten stehen Unternehmen. Hinter Unternehmen stehen Arbeitsplätze. Hinter Arbeitsplätzen stehen Menschen. Mal schnell zum Boykott aufrufen, ohne darüber nachzudenken, was das vor Ort heisst: Offenbar gilt das heute als sozial und richtig. Natürlich wird niemand in Russland seine Arbeit verlieren, weil Coop in der Schweiz etwas nicht mehr verkauft. Aber das Beispiel kann Schule machen und wird das wohl auch tun. Der freiwillige Boykott könnte schon bald zum Standard werden. Ob es der Ukraine hilft, wenn irgendein Wodka-Abfüller in Russland seine Absätze schwinden sieht? Die Frage war rein rhetorisch. Es ist absurd. Wie so oft erfolgen solche indirekten Protestbekundungen nicht, um ein Problem zu lösen, sondern um sich selbst zu schützen oder sich moralisch überlegen zu fühlen.

Die Migros wartet offenbar noch zu. Aber wenn der Druck im Kessel steigt, werden wohl auch dort bald die Gestelle politisch gereinigt. Als ob das grösste Problem von Menschen in einem zerbombten Wohnhaus russische Konsumprodukte in Schweizer Läden wären.

Ich habe es schon oft geschrieben, und es bestätigt sich täglich neu: Empörung ist eine billige Währung. Die kann man jederzeit hervorzaubern. Die Invasion der Ukraine dient in unserer überfütterten Wohlstandsgesellschaft vielen Leuten als Möglichkeit, sich besser als andere zu fühlen. Dafür braucht es einfach einen Tweet. 280 Zeichen, und die ganze Welt weiss: Ich stehe für das Edle und Gute.

Einfacher war es nie. Früher musste man den Tatbeweis erbringen. Heute kann man die Vorteile als Bürger eines sicheren und reichen Landes nutzen und gleichzeitig mal schnell mit Hilfe einer Tastatur beweisen, wie solidarisch und verantwortungsvoll man ist. Coop und Globus spielen mit, und das bestätigt die selbsternannten Retter der Welt in ihrer Mission.

Umgekehrt ist jeder, der das hinterfragt – so, wie ich das gerade tue – ein schlechter Mensch, empathielos, gleichgültig. Denn es wäre doch so einfach, mal schnell auf Twitter Zeugnis der eigenen charakterlichen Fähigkeiten abzulegen. Wer das nicht tut, muss wirklich abgrundtief böse sein.

Die gähnende Leere

«Takeaway» und «Delivery»: Zwei englische Begriffe sind inzwischen für viele von uns prägend. Jedenfalls für Leute wie mich, die nicht wirklich kochen können. Ich hole Essen lieber selbst, als es anreisen zu lassen. Denn so kann ich die Auswirkungen des nackten Wahnsinns vor Ort besichtigen.

In direkter Nähe meines Hauses liegen zwei asiatische Restaurants. Beides waren einst typische einheimische Beizen. Da ich die asiatische Küche liebe, habe ich nichts gegen die Veränderung. Gestern stand ich in einer der heimeligen Gaststuben, um meine Bestellung abzuholen. Es war 18.30 Uhr, die rund zehn Tische waren liebevoll gedeckt, Kerzen flackerten. Die Bedienung sass an einem kleinen Tisch neben den Tresen und ging ihrer aktuell häufigsten Beschäftigung nach: Sie wartete.

Es ist «Warten auf Godot», um es mit Samuel Beckett zu sagen. Natürlich sind Restaurants aktuell nicht grundsätzlich permanent leer. Es gibt sie ja haufenweise, die Leute mit dem Türöffner namens Zertifikat. Aber wenn ein Gasthaus eines Touristenorts an einem Freitagabend um 18.30 Uhr unbesetzt ist, und damit meine ich völlig unbesetzt, und die Takeaway-Bestellung eines Nachbarn das Highlight des Tages ist, dann spricht das Bände. Man biete übrigens mittags jeweils ein Buffet auch zum Mitnehmen an, sagt mir die Frau. Ich stelle mir gerade vor, wie der Koch in grösster Ungewissheit Töpfe füllt und bereitstellt und – naja, eben: wartet.

Früher gab es eine einfache Gleichung. Wenn du kochst und danach das Ergebnis wieder entsorgen kannst, dann kochst du eben einfach schlecht. Oder das Falsche. Jedenfalls tust du etwas, das nicht funktioniert, und du solltest es dringend korrigieren.

Heute sieht es anders aus. Du kannst dein Handwerk verstehen und dir grösste Mühe geben und um 14.30 Uhr doch noch vor vollen Töpfen stehen.

Ich habe in der Vergangenheit viel geschrieben über die Gastronomie und das, was seit bald zwei Jahren mit ihr gemacht wird. Ich habe es nie begriffen, und ich begreife es weiterhin nicht. Für mich ist die einzige Erklärung der Versuch, dem Leben das Schöne zu nehmen. Das Leichte, Unbeschwerte. Menschen sollen sich nicht treffen, sich austauschen und gemeinsam geniessen können, wenn sie nicht brav waren. Ich erinnere mich an die denkwürdigen Worte von Bundesrat Berset, der damals die Schliessung der Restaurants damit begründete, dass sich dort «irgendetwas verstecke», das zur Gefahr beitrage, man könne es auch nicht genau einordnen. Oder anders ausgedrückt: Man hatte keine Ahnung, ob die Gastronomie irgendetwas zum Problem beiträgt. Mehr noch: Es gibt keinerlei Beleg dafür. Aber einfach mal weg damit. Als das Zertifikat kam, bot sich die Chance, Gasthäuser in die Kette der Dinge einzugliedern, die Privilegierten vorbehalten sind.

Es kann sein, dass dieser Zustand nicht mehr lange anhält. Aber die Erinnerung wird es. Es ist, nehme ich an, kein Menschenrecht, ein Restaurant oder ein Café aufzusuchen. Wird einem das aber grundlos verwehrt, tangiert es die Grundrechte. Das nur mal aus Konsumentensicht. Darüber hinaus sind es natürlich vor allem die Betreiber, die leiden.

Man muss das wieder mal festhalten, weil wir Menschen die Tendenz haben, uns an Dinge zu gewöhnen wie leere Restaurants und Betriebe, die sang- und klanglos eingehen. Irgendwann nimmt niemand mehr Notiz davon. Irgendwann ist der Griff zum Telefon oder das Ausfüllen einer Bestellmaske im Internet reine Gewohnheit. War es mal anders? Möglich, muss lange her sein.

Und in dieser Gewöhnung vergessen wir dann auch, die Fragen nach dem Warum zu stellen. Das alles in Frage zu stellen. Wir arrangieren uns. Ist es dann eines Tages wieder anders, freuen wir uns, mehr noch: Es schleicht sich unbewusst so etwas wie eine leise Dankbarkeit ein. Wir dürfen wieder! Und die Zweifel, ob es gerechtfertigt war, dass wir jemals NICHT durften, verblassen.

Das sollten sie nicht tun. Sie sollten lebendig bleiben, diese Zweifel.



			

Herr Schmid mag keine Ungeimpften

Heute möchte ich Ihnen einen Mann vorstellen, der sich für ein Ja zum Covid-19-Gesetz engagiert. Total selbstlos, nur weil er das Beste für die Menschen in diesem Land will. Selbstverständlich. Und es hat gar nichts damit zu tun, dass er seinen Lebensunterhalt damit bestreitet, sich bei Regierungen gut zu stellen.

Auf Twitter herrscht die nackte Brutalität, auf Facebook kommt man gelegentlich verbal unter die Räder, und dann gibt es noch die eher dem Business zugewandten sozialen Medien wie XING und LinkedIn. Dort ist die Stimmung meistens friedlicher. Auf letzterem ist ein gewisser Victor Schmid recht aktiv, und nun sah er sich gezwungen, die Kommentarfunktion zu deaktivieren. Die Reaktionen auf seine Beiträge waren ihm zu heftig gewesen.

Schmids Beiträge sind beim näheren Hinsehen auch sehr heftig, nur nimmt er das natürlich nicht wahr, ein verbreitetes Paradoxon. Schauen wir, wofür sich der Mann ins Zeug legt, bevor wir dann schauen, was er sonst so im Leben macht. Die beiden Dinge könnten miteinander zu tun haben.

Victor Schmid empfindet Leute, die sich «gegen die Impfung sträuben» als «lächerlich», wie er in einem Beitrag schreibt. Das intessiert mich, wie sieht die Herführung für diese Wortwahl aus? Er argumentiert nicht für die Impfung, er geht nicht auf die Zweifel ein, er beurteilt mal kurz eine nach wie vor grosse Menge an Schweizerinnen und Schweizer als «lächerlich». Das klingt irgendwie ein bisschen stammtischig.

Warum ist es lächerlich? Schmid zeigt das gleich mit einem Link zu einem Beitrag, in dem ein eine Firma für ihre «ADITUS G3 Fast Lane» weibelt. Tolles Ding! Bei der Onlineregistrierung für einen Anlass kann man bereits das Zertifikat registrieren und dann geht es mit einem ultramodernen Drehkreuzscanner ohne menschliche Aufpasser ruckzuck rein in den Saal. Wahnsinn! Wenn das so weitergeht, fliegen wir bald zum Mond!

Diese technische Innovation ist es also, die Victor Schmid überzeugt: Die Impfung ist easy, wer es nicht tut, ist lächerlich.

Ich versuche, diesen Gedankengang nachzuverfolgen. Der indirekte Impfzwang, der das Recht auf die körperliche Unversehrtheit tangiert, die Spaltung der Gesellschaft durch Privilegieren und Aussperren, willkürliche und evidenzlose Massnahmen seit eineinhalb Jahren, das alles ist sofort kein Problem mehr, weil die Zugangskontrolle mit einem Zertifikat nun durch einen Drehkreuzscanner vereinfacht wird. Nur darum geht es. Nicht um gesellschaftliche Fragen, um Freiheitsrechte und anderen Pipifax dieser Art, nein: Sobald das Prozedere technisch ausgefeilt ist, können wir uns alle impfen lassen.

Ich weiss nicht, wie viel ich trinken müsste, um zum selben Schluss zu kommen.

An anderer Stelle sagt Herr Schmid, pardon, Dr. Schmid, man solle mit einem Ja zum Covid-19-Gesetz «der Mehrheit eine Stimme geben (…) und sich nicht durch Randalierer einschüchtern lassen.» Randalierer? Also die 50’000plus-Menge, die friedlich durch Bern zog beispielsweise? Oder sind damit die anderen buchstäblich hunderte von Kundgebungen und Demonstrationen quer durch die Schweiz in den vergangenen 18 Monaten gemeint? Bei denen mal an einem Zaun gerüttelt wurde? Randalierer?

Wie gesagt: Stammtisch.

Nur ist Dr. Victor Schmid nicht der Stammtisch. Er ist das pure Gegenteil. Er ist einer der wichtigsten Strippenzieher im Land. Die erkennt man daran, dass weder ihr Name noch ihr Gesicht Allgemeingut ist, weil sie hinter den Kulissen bleiben. Schmid ist Namenspartner von Hirzel.Neef.Schmid.Konsulenten, einer «strategischen Kommunikationsberatung». Das ist ein schöner Name für Lobbying. Für die hohe Kunst, heute A und morgen B zu vertreten, je nachdem, ob A einen anheuert oder B. Und je nachdem morgen das Gegenteil von heute zu sagen.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich finde Lobbying nichts Schlimmes. Das ist ein Geschäftszweig, basta. Damit muss eine freie Demokratie umgehen können.

Nur hilft diese Information, das Gesagte einzuordnen. Schmid ist laut Firmenwebseite der Spezialist für «die Vermittlung von Beziehungen und Kontakten zu Regierungen, Behörden, Medien, Wirtschaft und Kultur.» Also sozusagen für alles. Wer Beziehungen vermitteln will, muss zuerst Beziehungen haben. Schmid hat sie. Vor allem zu Regierungen und Behörden. Kein Wunder, er war mal Berater des einstigen Bundesrats Flavio Cotti und für die Information im Eidgenössischen Departement des Innern zuständig. Was man halt so tut, bevor man Berater wird.

Wie gesagt: Das ist alles keineswegs ehrenrührig. Es ist eher eine relativ typische Laufbahn, und irgendwie muss ja das Brot auf den Tisch kommen.

Aber die Verve, mit der sich Dr. Schmid für die Impfung beziehungsweise gegen Ungeimpfte engagiert, ist schon erstaunlich. Berater bemühen sich in aller Regel, selbst halbwegs unsichtbar zu bleiben, weil sie ja nicht selbst zur Nummer werden müssen, sondern dafür zu sorgen haben, dass es ein anderer wird. Der, der sie dafür bezahlt.

Hier ist es aber ein ziemlich sicheres Spiel. Mit dem Kadavergehorsam gegenüber Landesregierung und Behörden in Sachen Corona kann sich der Herr Konsulent gar nicht vertun. Alle, die ihn jemals angeheuert haben oder das noch tun werden, sind ihm mit Garantie dankbar für sein Engagement. Die Trychler werden kaum je Kunden sein von Hirzel.Neef.Schmid.Konsulenten. Auch die wenigsten Väter und Mütter, die aktuell für Verfassung und Grundrechte auf die Strasse gehen. Die haben dafür gar kein Geld, die wären schon pleite, wenn sie nur die Tür zur Beratungsfirma öffnen. Die mit Geld, das sind die anderen. Und die mögen das, was Schmid macht. Ob sein leidenschaftlicher Einsatz mit einem aktuellen geldwerten Auftrag zu tun hat oder ob es eher eine Vorinvestition in künftige Mandate ist, weiss ich nicht, und es spielt auch keine Rolle.

Vielleicht glaubt Dr. Schmid ja sogar wirklich, was er schreibt, und ich tue ihm Unrecht damit, einen Zusammenhang zu seiner Tätigkeit zu konstruieren. Vielleicht hält er Leute, die im Zusammenhang mit einer demokratischen Abstimmung auf die Strasse gehen, wirklich von Herzen für «Randalierer». Vielleicht denkt er in der Tat, es sei «lächerlich», das Recht auf den eigenen Körper wahrzunehmen. Vielleicht ist es für ihn wirklich unanständig, bei einer Gesetzesänderung eine andere Parole zu haben als er.

Alles denkbar. Aber nicht weniger traurig.

Victor Schmid ist auch Buchautor. Für die Vermarktung seines jüngsten Werks erhält er auf der Webseite der Firma, dessen Verwaltungsrat er präsidiert, gleich einen eigenen Menüpunkt. «Klartext – Schönreden war gestern» heisst das Werk, das aus Gesprächen mit prominenten Zeitgenossen besteht. In der Beschreibung heisst es:

«Bereits während des Lockdowns hat sich gezeigt, dass Klartext das Einzige ist, was in Krisen von der Öffentlichkeit akzeptiert wird. Und auch innerhalb der Unternehmen lechzten die Menschen nach klaren Ansagen. Wie müssen Botschaften sein, damit sie auch ankommen?»

Ach so. Deshalb spricht Schmid nun Klartext, bezeichnet eine Vielzahl von Menschen als «lächerlich» und als «Randalierer». Denn es ist vorbei mit dem «Schönreden». Nun ist Tacheles gefragt. Dazu gehört auch, Andersdenkende ungehemmt niederzuschreiben. Denn es sind nicht etwa Andersdenkende, nein, sie sind gefährlich. Weil sie total falsch liegen. Laut Schmid. Oder laut den Leuten, die Leute wie ihn als Berater anheuern. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit lächerlichen Randalierern muss man nicht suchen. Man muss sie fertig machen. Und wenn sie sich dagegen wehren, kann man die Kommentarfunktion deaktivieren.

Das ist fast so praktisch wie ein Drehkreuzscanner.

Ein gendergerechtes Büro. Aber sonst ist Diskriminierung ok.

Eine Frau schreibt mir über ihre persönlichen Erfahrungen am Arbeitsplatz. Als Ungeimpfte ist sie dort nicht mehr willkommen. Bevor es soweit war, hat sich ihr Unternehmen aber überschlagen beim Versuch, jedem Vorwurf der Diskriminierung zu entgehen.

Unternehmen, vor allem die grossen, sind im Jahr 2021 ein furchtbar ängstlicher Haufen. Permanent tun sie alles, um einem möglichen Shitstorm und öffentlicher Anfeindung oder gar Boykottaufrufen zu entgehen. In vorauseilendem Gehorsam erfüllen sie alles, was via Twitter gerade als das neue grosse Ding verbreitet wird. Oft reicht eine einzelne anonyme Wortmeldung, und schon wird ein Produkt aus dem Gestell entfernt oder umbenannt. So etwas wie Haltung sucht man in der Wirtschaft mittlerweile fast vergeblich. Figuren wie der Chef des Mohrenkopfproduzenten Dubler sind eine aussterbende Rasse.

Eine Leserin, die sich bei mir gemeldet hat, liefert ein neues Beispiel dafür.

Sie schreibt:

« Ich darf nicht mal mehr in die Büroräumlichkeiten der Firma, für die ich seit 20 Jahren arbeite. Dieses Jahr hat man gender-neutrale WC und Garderoben eingeführt, damit sich niemand diskriminiert fühlt.»

Der Slogan der Firma, den ich nicht enthüllen kann, um keine Rückschlüsse auf die Frau zu ermöglichen, suggeriert ebenfalls so viel wie «alle für einen, einen für alle». Aber wer gerne vor Ort arbeiten will, muss geimpft sein. Oder sich jeden zweiten Tag testen lassen. Auf eigene Kosten.$

Ich will hier nicht auf die Genderthematik eingehen (jedenfalls heute noch nicht, es gäbe viel zu sagen). Es geht um Grundsätze. Einem regelrechten Hype, künstlich entfacht, rennen Firmen einfach nach, um von sich sagen zu können, politisch korrekt zu sein, tolerant, niemanden ausschliessend. Gleichzeitig entfernt man verdiente Kräfte faktisch aus der Bude, weil sie das Recht auf den eigenen Körper in Anspruch nehmen.

Das ist ein Widerspruch. Aber nur scheinbar. Es folgt nämlich einer seltsamen Logik.

In beiden Fällen, so sehr sie sich nach dem gesunden Menschenverstand gegenseitig auch ausschliessen, geht es darum, das zu erfüllen, was gerade en vogue ist. Die Unternehmen wollen gefallen. Das kann man bekanntlich nie allen gleichzeitig. Also muss man das kleinere Risiko wählen. Der Mainstream will gendergerechte Toiletten, der Mainstream will den faktischen Impfzwang. Der Mainstream will hier Gerechtigkeit und dort Ungerechtigkeit. Wer ihm folgen will, muss flexibel sein und einmal das eine und danach das völlig andere tun. Wie gesagt, Sinn macht das keinen, aber darum geht es ja gar nicht.

Was kann eine Firma ernten, die öffentlich bekennt, weiterhin auf Männlein und Weiblein zu setzen und deshalb keine «Divers-Toiletten» oder was auch immer einbaut? Was kann eine Firma ernten, die öffentlich bekennt, bei ihr seien Ungeimpfte als Arbeitnehmer willkommen?

Sicher viel Applaus aus einer bestimmten Ecke. Aber noch viel mehr wird sie niedergeknüppelt von der anderen Ecke.

Und wenn es ums Image geht, um die öffentliche Wahrnehmung, dann wägt das Unternehmen ab, welcher Applaus wichtiger ist. Und welcher Knüppel weniger weh tut.

In einer Welt, in der sich ein national tätiger Detaillist reuig in den Staub wirft, weil sich ein einzelner Twitterer über eine Produktbezeichnung aufregt, hinter der er Rassismus vermutet, haben selbst mächtige Konzerne erstaunlich wenig Macht. Sobald sie beschliessen, sich im Zweifelsfall Asche aufs Haupt zu streuen und umgehend Schritte einzuleiten, werden sie zum Zwerg. Sie glauben, damit Unheil abzuwenden, aber in Wahrheit werden sie zum schwer manövrierbaren, unbeweglichen Tanker, der der See hilflos ausgesetzt ist. Man kann ihnen das Verhalten regelrecht diktieren.

Mal wieder die Wahl zwischen Pest und Cholera

Separierte Zonen für ungeimpfte und geimpfte Menschen sind etwas Furchtbares. Allerdings, und da hat der Gastroverband durchaus recht, müssen sie spätestens dann diskutiert werden, wenn sie an einem Ort möglich sind und am anderen nicht.

Was unterscheidet ein Restaurant von einer Kantine? Spontan denkt man vielleicht: Die Qualität des Essens. Aber das gilt sehr begrenzt. Es gibt Restaurants mit furchtbarer Küche und Kantinen, in denen echte Könner am Werk sind.

Darüber hinaus aber gibt es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Es kommen Menschen zusammen, um sich zu verpflegen. Wie nahe sie sich kommen, wie viel Platz der Einzelne hat, das hängt von der konkreten Ausgestaltung ab und nicht von der offiziellen Bezeichnung.

Deshalb war es schon im Lockdown nicht logisch, dass Restaurants geschlossen wurden und Kantinen offen bleiben durften. Denn wenn der Handwerker, dem keine Kantine zur Verfügung steht, sich irgendwie anders verpflegen kann, schafft das auch ein Nationalrat oder ein Banker.

Nun ist alles wieder offen, aber Restaurants sind durch die Zertifikatspflicht eingeschränkt, Kantinen aber nicht. Bei SRF will man Zonen für Geimpfte und Ungeimpfte schaffen – und die Beizer fragen sich richtigerweise, warum das dort gehen soll und bei ihnen nicht.

Die einfachste Begründung: Logik war noch nie ein Kriterium der Coronapolitik. Der Grad der Gefährdung auch nicht. Es war immer alles willkürlich, wie rein zufällig. Die Restaurants sind das beste Beispiel dafür, die Gastronomen waren stets Musterknaben bei der Umsetzung von Sicherheitsmassnahmen und kamen dennoch am meisten an die Kasse.

So unsympathisch getrennte Zonen für Menschen sind, die wie eine sichtbare Unterteilung in Gut und Böse wirken, so klar ist auch: Aktuell wären sie das geringere Übel. Der Aussenbereich von Restaurants wird allmählich witterungsbedingt ungemütlich, und dann ist für Ungeimpfte endgültig Ende Feuer. Warum also ist in einer Kantine möglich, was in einem Restaurant nicht gehen soll?

Natürlich wäre es rein räumlich nicht für jeden Gastrobetrieb möglich, Geimpfte und Ungeimpfte voneinander zu trennen. Aber für viele schon. Darüber hinaus gibt es neben der räumlichen Trennung auch die Option der zeitlichen. Entscheidend wäre der psychologische Vorteil: Gastronomen könnten schlicht und einfach wieder alle Gäste willkommen heissen. Vielen von ihnen geht es an die Nieren, das nicht mehr tun zu können.

Es sind seltsame Zeiten. Man empfindet das früher Unaussprechliche schon fast als möglichen Segen, man überlegt sich Dinge, vor denen man einst Abstand genommen hätte. Ich erinnere mich, wie ich einst den Arbeitgeberpräsidenten verbal unter Beschuss genommen habe, weil der vorschlug, Unternehmen sollten die Ungeimpften in eigene Kantinenzonen verbannen.

Aber das war vor der Zertifikatspflicht. Aktuell gilt die Devise: Immer auf die gerade herrschende Absurdität reagieren und dazu vielleicht sogar auf etwas zurückkommen, was man eigentlich nie im Leben möchte.

Zu Hilfe, er ist ungeimpft!

Boulevardmedien schreiben Leuten gerne schlechte Eigenschaften zu, weil diese Leute damit spannend werden. Mieser Charakterzug, Vorstrafenregister, betrunkener Ausrutscher: Alles Gold wert. Neu in diese Kategorie gehört «ungeimpft». Getroffen hat es den obersten Gastronomen der Schweiz. Peinlich! Aber eher für die bewusste Zeitung.

«Gastro-Platzer ist nicht geimpft!», titelte der «Blick am 8. September und folgerte: «Nun macht alles einen Sinn.» Die Zeitung suggerierte damit, der Präsident des Branchenverbands Gastrosuisse lege sich so sehr gegen eine Zertifikatspflicht ins Zeug, weil er selber keinen solchen «Schein» hat. Das ist natürlich Unsinn gröberen Ausmasses. Platzer kann täglich im Restaurant essen, immerhin hat er eines, und auch sonst dürfte er keine Schwierigkeiten haben, irgendwo verköstigt zu werden bei seinen 20’000 Mitgliedsbetrieben, auch ohne Zertifikat. Ihm zu unterstellen, er würde im Namen eines Verbandes eine tiefgreifende neue Verpflichtung bekämpfen, nur weil er selber gerne ausgeht, ist irgendetwas zwischen böswillig und völlig verrückt.

Einen Tag später legte der «Blick» nach. «Gastro-Boss poltert sich ins Abseits», heisst es diesmal im Titel, und die Überschrift besagt: «Ungeimpft und nur am Motzen.»

Bleiben wir kurz beim «motzen». Der Bundesrat stellt seine Ideen vor (die inzwischen realisiert sind), und der Verband der direktbetroffenen Branche ist ein «Motzer», weil er sich dagegen stellt? Was ist das für ein Demokratieverständnis? Motzt man im Sinn von sinnlos herummäkeln, wenn man nicht einfach Ja und Amen sagt zu dem, was von oben kommt? Oder ist es allenfalls die Aufgabe eines Verbandspräsidenten, Gegensteuer zu geben, wenn seine Mitglieder unter die Räder kommen? Zumal es ja nicht (nur) die private Meinung von Casimir Platzer ist, die er da zum Besten gibt, er spricht im Namen des Vorstands und der Kantonalverbände.

Das alles ist eine sehr schiefe Interpretation des Geschehens, die dem «Blick», dem inzwischen impfwütigsten Medium der Schweiz, nur dazu dient, Gegner des aktuellen Kurses unmöglich zu machen. Wie lange sich Platzer das noch antun will, ist sehr die Frage.

Aber vor allem scheint der Begriff «ungeimpft» für die Zeitung inzwischen eine fixe Kategorie zu bilden, die man einsetzen kann, um darzulegen, wie total daneben jemand ist. Warum er oder sie nicht geimpft ist, spielt dabei keine Rolle. «Ungeimpft» spielt nun in einer Liga mit einer ganzen Latte von Begriffen, die man einsetzen kann, wenn man jemanden diffamieren möchte. «Wer sich das Recht herausnimmt, selbst über den eigenen Körper zu bestimmen, ist eine Unperson.

Nun kann man natürlich eine Story darüber machen, dass der Präsident von Gastrosuisse nicht geimpft ist, auch wenn das eigentlich reine Privatsache ist. Schwerer wiegt, wie langsam und subtil ein Adjektiv zu einem Schimpfwort gemacht wird. Irgendwann braucht es dann gar kein «Nebengleis» mehr wie im Fall von Casimir Platzer den Widerstand gegen die Zertifikatspflicht. Eines Tages reicht es, jemanden als «ungeimpft» vorzuführen und ihn damit dem Mob aus Geimpften zum Frass vorzuwerfen. Denn ein wachsender Teil dieser Gruppe hat das «gegen unten treten» für sich entdeckt, suhlt sich in den wiedererlangten Freiheiten und nimmt sich gegenüber den «anderen» alles heraus.

Das tut einer Gesellschaft nicht gut. Und zwar auch denen nicht, die sich aktuell als Sieger wähnen. Sie könnten als Nächste an die Kasse kommen, wenn der Verbund aus Politik und Medien beschliesst, bei irgendeinem völlig anderen Thema Gut und Böse zu definieren und das so in der Wahrnehmung der Bevölkerung zu verankern. Es ist reichlich kurzsichtig, das Heute zu geniessen und nicht an das Morgen zu denken.

Casimir Platzer, ein hemdsärmeliger, aber hochanständiger Mann übrigens, dürfte es aushalten. Als oberster Gastronom muss man breite Schultern haben, die Branche ist sehr heterogen, die Mitglieder sind nicht alle pflegeleicht. Nur geht es eben nicht um seinen Fall, sondern um die Tatsache, dass das Prädikat «Ungeimpft» zu einer eigenständigen Karriere ansetzt.