Der Elefant im Raum ist ein Kind

Ich würde das Thema gern beerdigen, aber dafür müssten zuerst wieder mehr Menschen geboren werden. Pardon für das kleine Wortspiel – das Thema ist ernst.

Ein Wort in eigener Sache. Dieser Blog wurde als Bezahlmedium gestartet und ist nun seit rund einem Jahr kostenfrei zugänglich. Ich verzichte auch auf Werbung, obschon das angesichts von durchschnittlich 70’000 Aufrufen pro Monat lukrativ wäre. Das alles wird auch so bleiben. Gratis bedeutet allerdings nicht, dass keine Arbeit dahinter steckt. Der Blog ist ein elementarer Teil meiner Einnahmen als freischaffender Journalist. Wenn Sie regelmässig mitlesen, danke ich Ihnen für eine freiwillige Zuwendung in selbst gewählter Höhe. Informationen dazu finden Sie hier. Aber mein ausdrücklicher Wunsch: Wer selbst Mühe hat, über die Runden zu kommen, verzichtet bitte auf einen Beitrag an mich und liest mit gutem Gewissen kostenlos weiter. Herzlichen Dank!

Seit 2022 publiziere ich regelmässig zum Thema Geburtenrückgang. Das mag ermüdend sein für einige, nur ist es leider so, dass uns dieses Phänomen seither begleitet und es damit auf der Traktandenliste aller Medien stehen müsste. Es ist eine banale Tatsache: In der Schweiz und einer Reihe von weiteren Nationen (die eine Gemeinsamkeit haben) kommen seit 2022 sehr viel weniger Kinder zur Welt als üblich und prognostiziert.

Ein solches Gefälle, das auch massive demografische Auswirkungen hat, müsste jeden Staat der Welt in Panik versetzen. Das aufgrund ganz einfacher Fragen wie: Wer finanziert in einigen Jahrzehnten die Leute, die nicht mehr arbeiten? Ah ja, natürlich, die Einwanderung aus geburtenstarken Ländern, die bekanntlich keinerlei andere Nachteile mit sich bringt. So viel zur Ironie, aber nun ernsthaft.

Ich habe das Thema für die «Weltwoche» soeben wieder aufgenommen. Der Anlass: die Art und Weise, wie Medien versuchen, das Ganze zu verniedlichen. Nachlesen kann man das hier. Wer nicht mag: Es geht darum, dass man uns vor einem Jahr den Geburtenrückgang als temporäres Phänomen verkaufen wollte. Nun hält er aber dummerweise an. Deshalb holen die Redaktionen nun andere Experten, die sagen, es sei wohl eine bleibende Entwicklung, die im «historischen Wandel» begründet liegt. Dieser offensichtliche Widerspruch in den Aussagen ist schon Skandal genug.

Aber unterhaltend ist es allemal. Wer Grimms Märchen schon durch hat, kriegt nun diese Lektüre als Ersatz aufgetischt: 2021 haben die Schweizerinnen rekordmässig geboren. 2022 und 2023 haben sie dann plötzlich gemerkt, dass es gar nicht mehr gesellschaftlich zwingend geboten ist, unbedingt Kinder zu kriegen und haben deshalb kurzerhand damit aufgehört. Vor zwei Jahren noch lagen also Frauen im Kreisssaal, weil sie fanden, das müsse eben so sein, aber dann setzte die grosse Kulturrevolution ein.

Wer das schlüssig findet, der liest vermutlich auch diesen Blog hier nicht, daher sind weitere Worte dazu überflüssig. Aber vielleicht doch noch kurz zur Sicherheit: Ja, es gab Zeiten, in denen Frauen schräg angeschaut wurden, wenn sie kinderlos blieben. Diese Zeiten haben aber einiges vor 2021 ihr Ende gefunden. Eine Forscherin an einer Zürcher Fachhochschule, die den Geburtenrückgang mit dem «historischen Wandel» zwischen 2021 und 2022 begründet, sollte über eine Umschulung nachdenken.

Herzlichen Dank für Ihre freiwillige Unterstützung.

Das alles sind sehr durchschaubare und hilflose Versuche, den Elefanten im Raum auszublenden. Wenn die Geburtenzahl innerhalb weniger Monaten förmlich einbricht, konkret um 8,5 Prozent zwischen 2021 und 2022, dann ist das nicht das Ergebnis gesellschaftlicher Entwicklungen, die urplötzlich jede zehnte Frau ergriffen haben. Es ist – es kann nur sein! – das Ergebnis eines plötzlichen Ereignisses. Und mir fällt beim besten Willen aus der jüngeren Vergangenheit nur ein einziges solches ein, das zudem zeitlich perfekt mit dem Geburtenrückgang korreliert: Die Impfkampagne des Bundes – beziehungsweise eben die Impfung.

Bevor nun jemand in die Tasten haut und mir per E-Mail mitteilt, wie doof ich bin: Ich weiss, dass Korrelation und Kausalität nicht dasselbe sind. Ich weiss, dass ein vermehrtes Aufkommen von Störchen bei gleichzeitiger Zunahme der Geburtenrate nicht bedeutet, dass der Storch kausal etwas zu den Geburten beigetragen hat. Im Unterschied zur heranwachsenden Generation, der man beibringt, dass es nicht nur zwei Geschlechter gibt, bin ich im Bild, was die Fortpflanzung angeht. Ich habe sie zweifach erfolgreich betrieben. Nicht, dass ich besonders stolz darauf wäre, mein Beitrag war recht bescheiden.

Was ich aber auch weiss: Eine unübersehbare zeitliche Korrelation müsste genug Anlass geben, eine mögliche Kausalität zumindest zu überprüfen. Das will allerdings niemand tun – man könnte schliesslich noch etwas finden.

An dieser Stelle kurz zu meiner Arbeitsweise als Journalist. Ich habe es mehr mit Buchstaben als mit Zahlen, deshalb bin ich auch das geworden, was ich bin. Im Lauf der letzten drei Jahre habe ich mir einem Stamm von vier Statistikern aufgebaut. Das sind Leute, die es weniger mit den Buchstaben haben, aber umso mehr mit Zahlen. Wir tauschen uns laufend aus, ich erhalte regelmässig Hinweise, prüfe die Erkenntnisse des einen noch mit einem anderen quer, und wenn klar ist, dass der zahlenmässige Befund hieb- und stichfest ist, geht es an die Buchstaben. Das ist dann mein Job. Ich übersetze das, was die Zahlenprofis herausfinden, in einen – hoffentlich – flüssigen und verständlichen Text.

Ich sitze also nicht selbst mit einem Zählrahmen im Büro, sondern verlasse mich auf Leute, die ihr Leben lang nichts anderes gemacht haben, als Zahlen zu vergleichen und einzuordnen. Das würde ich übrigens auch dem Bundesamt für Statistik raten, einfach so zur Abwechslung. Denen würde jemand, der von Statistik eine Ahnung hat, gar nicht mal schlecht tun.

Der Geburtenrückgang in unserem Land ist verdammt ernst. Das ist er auch anderswo, nur ist das dort nicht mein Problem. Es geht um die Altersvorsorge, um die Planung der Infrastruktur, um die Situation in der Pflege, um tausend Dinge. Das alles ist viel zu ernst, um weit hergeholte Begründungen zu präsentieren, mit denen die Entwicklung lauwarm erklärt werden soll.

Zum Beispiel das Argument, viele Frauen hätten aus Angst vor Corona nicht schwanger werden wollen. Ja, das stand im Tages-Anzeiger. Ernsthaft. Es war mal wieder das Virus. Das hat die Frauen davon abgehalten. Stimmt das? Meine kleinere Tochter ist zwölf Jahre alt und könnte es anhand der Fakten in fünf Minuten widerlegen.

Wir erinnern uns: Die Hysterie rund um Corona war im Verlauf von 2020 am grössten. 2021 verzeichnete die Schweiz nahezu einen Rekordstand an Geburten. Diese Kinder wurden grösstenteils ab Mitte bis Ende 2020 gezeugt. Die Logik jault auf. Während die Zertifikatspflicht und allerlei andere Vehikel der Panik eingeführt wurden, gab es also keine Angst vor dem Virus, und Frauen wollten dringend schwanger werden? Und erst so ab der Hälfte des Jahres 2021 und danach fanden sie plötzlich, diese Sache mit Corona mache eine Schwangerschaft irgendwie nicht so passend? Als sich die Angst vor dem Virus in der Allgemeinheit längst gelegt hatte und die Mehrheit einfach mitmachte, um nicht aufzufallen? Der Geburtenrückgang setzt sich übrigens auch 2023 fort. Immer noch Angst vor Corona? Seit Ende 2022 und darüber hinaus? Wirklich?

Nein. Einfach nein. Aber heutzutage muss etwas ja nicht mehr logisch sein, bevor es uns Staat und Medien als Wahrheit auftischen.

Es muss in einem ersten Schritt Leute geben, die solchen offensichtlichen Unsinn behaupten. Und in einem zweiten Schritt auch noch Medien, die solchen offensichtlichen Unsinn publizieren. Und das alles nur, um dem Kind, pardon, dem Elefanten im Raum auszuweichen.

Ich kann einen Staat nicht ernst nehmen, der ein handfestes gesellschaftliches Problem nicht näher untersucht, weil er Angst hat, das Resultat könnte seine Politik der Vergangenheit beschädigen. Beziehungsweise: Ich kann ihn ernst nehmen, weil ich die Beweggründe verstehe. Es sind dieselben Motive wie die des «Grossen Bruders» aus George Orwells «1984», der alles tat, um die Masse an der Erkenntnis herumzuführen.

Das richtige Wort ist deshalb: Ich respektiere einen solchen Staat nicht. Und ich kann ihn und seine Institutionen auch nur noch sehr begrenzt mittragen. Untersucht bitte endlich, woran es wirklich liegt. Denn irgendwann, das ist meine Hoffnung, die ich nie aufgeben werde, dämmert es auch dem Letzten da draussen.

Diesen Blog gibt es dank Ihrer Unterstützung. Und ja, es ist wichtiger denn je.