Weshalb Milliardäre gern links ticken

Hansjörg Wyss ist milliardenschwer. Der Berner, der seit Jahrzehnten in den USA lebt, lässt am liebsten für linke Ideale Geld springen. Denn man geht im Jahr 2022 nur positiv in die Geschichte ein, wenn man mal kurz die Welt rettet. Egal, wie hoch der Preis der gesamten Gesellschaft ist.

Die Geschichte klingt in etwa so, wenn man die Erklärungen und Äusserungen von Superreichen zusammenfasst, die Bewegungen und Organisationen aus dem linken Spektrum unterstützen:

«Ich war in meinem Leben sehr begünstigt, ich hatte viel Glück, und ich will der Gesellschaft etwas davon zurückgeben, deshalb unterstütze ich mit meinem Vermögen Dinge, welche der ganzen Welt nützen.»

Dagegen lässt sich schwerlich etwas sagen. Nun braucht man nur noch eine Jury, die aussiebt, welche Projekte und Ideen der Gesellschaft dienen. Wobei das natürlich der Reiche selbst definieren kann, es ist ja sein Geld. Aber es klingt stets so, als gäbe es eine fixe Definition für das, was richtig für die Welt ist, die gefälligst für alle zu gelten hat.

Wenn jemand in Afrika eine Schule baut, ein Naturschutzgebiet unterstützt oder Hilfe für eine Region nach einer Naturkatastrophe leistet, kann man die Sinnhaftigkeit nicht ernsthaft hinterfragen. Das kann im Grunde nicht falsch sein. Im Detail liesse sich vielleicht prüfen, ob Organisationen berücksichtigt werden, die mit dem Geld richtig umgehen, die also nicht alles in die Verwaltung oder den Lohn des CEO stopfen und so weiter. Aber von der Absicht her sind das unstrittig edle Vorhaben. Und übrigens auch weder «linke» noch «rechte» Absichten. Das hat mit Politik nichts zu tun.

Allerdings haben vor allem Linke die Tendenz, sich diese Themen nach und nach anzueignen. Alles, was danach klingt, dass es nötig ist, damit die nächste Generation noch einen Planeten hat, wird in der öffentlichen Debatte von Links-Grün zielsicher vereinnahmt.

Nehmen wir den Klimaschutz. Die Welt und damit wir Menschen sind darauf angewiesen, dass das Klima nicht ausser Rand und Band gerät. Aber tut es das wirklich? Wenn ja, wie dramatisch und schnell tut es das? Und wenn ja, ist der menschliche Anteil dafür ausschlaggebend oder etwas anderes? Können wir selbst etwas bewirken, und wenn ja, ist es das, was uns heute als Lösung verkauft wird?

Diese Fragen darf man heute nicht mehr stellen. Der Klimawandel wird von der Politik und medial unterstützt als allein vom Menschen verursacht verkauft, nur eine Verhaltensänderung und entsprechende Gebote und Verbote können entsprechend das Problem lösen – und mit dieser Definition der Wahrheit wird aus dem Klimaschutz ein linkes Vorhaben.

Denn alles, was wir angeblich sofort tun müssten, um das Klima zu retten, entspricht seit Urzeiten der Agenda der Linken. Weniger individuelle Mobilität, weniger Flugzeugreisen, weniger oder noch besser kein Fleischkonsum, nur noch alternative Energieerzeuger und so weiter. Das, was Links-Grün sowieso schon immer durchsetzen wollte, hat in der Klimadebatte das perfekte Vehikel gefunden. Natürlich in Verbindung mit der bewährten Diffamierungstechnik: Wer Zweifel an der segensreichen Wirkung dieser Massnahmen hat, ist ungebildet oder verrückt oder ein Rechtsextremer. Eben wie bei Zweifeln an der Coronapolitik.

Doch was hat das mit Milliardären zu tun?

Meine nicht durch Studien belegbare These ist, dass es um eine späte Sinnsuche und um den Versuch, sich ein ehrendes Andenken zu bewahren, geht.

Hansjörg Wyss, 86, wurde so richtig reich, als er die Orthopädiefirma Synthes verkaufte. Sein Vermögen wird aktuell auf rund 5 Milliarden Dollar geschätzt. Mal waren es 12, mal 7 oder 8, aber seien wir ehrlich: Es macht keinen grossen Unterschied. Sicher ist, dass der Mann, nicht nur angesichts seines Alters, keine finanziellen Alltagssorgen hat, ebenso wenig die Leute, die einst sein Erbe antreten. Er hat also viel Zeit, nachzudenken.

Vielleicht auch darüber, was von ihm bleibt, wenn er mal nicht mehr ist. Die 5 Milliarden sind eine blosse Zahl, zu astronomisch, um sich eine Vorstellung zu machen. Die Zahl belegt, dass Wyss als Unternehmer etwas drauf hatte und vieles richtig gemacht hat, ökonomisch gesprochen. Aber über den Menschen sagt sie nichts aus. Und die meisten von uns wollen nach dem Ableben nicht als «der Reiche» oder «der erfolgreiche Firmengründer» erinnert werden, sondern aufgrund unserer persönlichen Werte. Wie war der so, was hat er bewirkt?

(An mich beispielsweise, nur als kleiner Einschub, würde man mich im Fall meines Todes in diesen Tagen erinnern als einen, der unzählige Menschenleben auf dem Gewissen hat, weil er die Coronamassnahmen kritisiert hat. Nicht schön, aber da lässt sich nichts mehr dran ändern. Und es gibt ja auch einige Leute, die das anders beurteilen.)

Besser macht man es, indem man sich für das engagiert, was eine Mehrheit – vielleicht ist es auch nur eine besonders lautstarke Minderheit mit guter politischer Vernetzung – als gut, richtig und edel ansieht. So entsteht eine Art Vorbild-Denkmal. Und der Zeitgeist tickt nun einmal so, dass fast alles, was uns täglich als vorbildlich verkauft wird, irgendwie links angehaucht ist. Beziehungsweise: Das, was Linke wollen, wird zur schieren Notwendigkeit hochstilisiert, bis es alle glauben.

Zurück zu Hansjörg Wyss. Dieser hat über seine Stiftung schon mächtig viel Geld ausgegeben für Dinge, an denen man auf den ersten Blick kaum herummäkeln kann, beispielsweise den Schutz der globalen Artenvielfalt. Es klingt jedenfalls unwidersprochen gut. Niemand will, dass möglichst viele Arten aussterben. Jeder will Artenvielfalt.

Die gesellschaftliche Aufgabe ist es aber, sich zu fragen: Zu welchem Preis geschieht das? Ist die Forderung nach einem Schutz ultimativ und soll unbesehen von anderen Auswirkungen realisiert werden? Wie genau soll die Artenvielfalt gesichert werden, und welche Folgen hat das auf andere Lebensbereiche?

Gemeint ist ja nicht, dass man tausende von Reservoirs schafft, in denen die letzten Exemplare einer Art geschützt leben. Es geht um den Erhalt der natürlichen Lebensräume dieser Arten. Und das geht nicht ohne Veränderung. Deshalb muss man sich stets die Frage stellen: Was bedeutet das für uns? Für die Art, wie wir leben und leben wollen? Welche Einschränkungen bringt das mit sich? Was kommt dabei allenfalls unter die Räder?

In die gleiche Kategorie geht der «Green New Deal», eine weitere Spielwiese von Wyss, mit der er 30 Prozent der Landes- und Ozeanfläche unter Schutz stellen will. Das kann man wollen, das kann man anstreben, aber eben: Zu welchem Preis? Gibt es, ich frage ganz unschuldig, allenfalls hoch willkommene, wichtige Projekte für die Menschheit, die nicht mehr möglich wären, wenn diese 30 Prozent geschützt würden? Verschwänden vielleicht auch die «falschen» Dinge unter den Schutzbemühungen?

Aber damit bin ich schon in den Details. Und muss mich fragen: Darf man es sich leisten, nach einer Güterabwägung zu einem dieser Schutzprojekte und seinen Folgen zu sagen: «Das geht mir zu weit» – ohne dann als naturfeindlicher Unmensch zu gelten?

Der Weg von Wyss ist risikolos. Er spendet dorthin, wo niemand Fragen stellen kann. Ich glaube ihm durchaus, dass er überzeugt ist, der Welt über seinen Tod hinaus einen Dienst zu leisten, indem er Geld vornehmlich in den Schutz der Umwelt steckt. Nur wissen wir aus Erfahrung, dass das heutzutage immer mit einem Nebeneffekt kommt: Dem Umbau der Gesellschaft.

Früher galt es als Naturprojekt, wenn man als Schulklasse ein Waldstück von Abfall befreite. Heute muss man zu Fuss gehen und sich pflanzlich ernähren, um mit gutem Gewissen behaupten zu können, sich für die Umwelt einzusetzen. Es muss immer das ganze Paket sein. Falls Sie früher drei Mal pro Jahr in die Ferien geflogen sind und nun nur noch einmal in zwei Jahren: Sorry, reicht nicht. Sie sind geflogen, und damit sind Sie ein Klimaschädiger. Die totale Konsequenz oder gar nichts: Das ist das Motto.

Gerade eben hat Greenpeace ein Werbeverbot für tierische Produkte wie Fleisch, Eier und Milch gefordert. Abgesehen von einzelnen Branchenvertretern hat das bei niemandem für Aufregung gesorgt. Die Forderung hätte an der Urne derzeit vermutlich nicht gerade eine Mehrheit, aber entscheidender ist: Besonders auffallen tut man mit ihr heute nicht mehr. Man kann inzwischen regelrecht alles verlangen, völlig egal, wie tief es in Gesellschaft und Wirtschaft eingreift, wenn nur der «richtige» Zweck dahinter steht.

Das wirkt sich aus. Die Erfahrung zeigt, dass die Politik zwar selten auf Maximalforderungen eingeht, aber die laute Empörung über fossile Brennstoffe, Flugreisen oder Fleischkonsum gern zum Anlass nimmt, immerhin ein bisschen an der Schraube zu drehen. Ein kleines Entgegenkommen quasi. Man will ja wiedergewählt werden, und da hilft ein Shitstorm auf Twitter nicht wirklich.

Das bedeutet: Dieses Ideal der Lebensführung, das eine sehr laute Minderheit zu dieser erklärt hat, wird auf der politischen Ebene nach und nach zum Standard gemacht, Stück für Stück. Leute wie Hansjörg Wyss helfen mit Geld und ihrem Namen, politische Absichten zu adeln, indem sie den entsprechenden Vorhaben Gewicht und Ressourcen geben. Noch einmal: Nichts gegen Artenvielfalt, der Milliardär könnte sein Geld mit Sicherheit dümmer verjubeln. Aber stellt er sich mit 86 noch die Frage, was danach kommt? Ja, tut er, in Bezug die Arten und die Weltmeere. Aber: Fragt er sich auch, wie unsere Gesellschaft (die aus meiner bescheidenen Sicht heute den besten Stand aller Zeiten hat in Sachen allgemeinem Wohlstand, Umweltschutz, Tierwohl und so weiter) die Einschränkungen verkraftet, die mit seinen hehren Zielen unweigerlich verbunden sind? Wie sich unsere Gesellschaft dadurch verändert, wie die Wirtschaft das verkraftet?

Wie gesagt: Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass Klima, Artenvielfalt, Weltmeere und vieles mehr zuoberst auf der Traktandenliste sind und wir jeden persönlichen Verlust zu tragen haben, um die Ziele zu erreichen, die einige Leute definiert haben. Darf man, klar. Es scheint mir nur nicht sehr ausbalanciert. Eine Gesellschaft ist ein komplexes System, ein Wirrwarr aus sich überkreuzenden und zusammenhängenden Fäden. Wer an einem zieht, löst woanders etwas aus.

Oder weniger abgehoben ausgedrückt:

Wenn wir irgendwann kein Fleisch mehr essen und nicht mehr fliegen dürfen, das Autofahren bis zum Stillstand reglementiert ist und wir ohne Strom da sitzen, weil AKW (übrigens die umweltfreundlichste Art, Energie zu erzeugen) verpönt sind, gleichzeitig aber eine beinahe ausgestorbene Vogelart in Uganda gerade Nachwuchs produziert hat, ist eine Kosten-Nutzen-Rechnung vielleicht nicht ganz doof (wenn auch zu spät).

Denn hinter all dem, was wir heute oder in Zukunft nicht mehr dürfen, ob rechtlich oder moralisch, stehen immer auch Arbeitsplätze und damit Schicksale. Nur sollte man das natürlich nicht offen aussprechen. Denn das hiesse ja, dass man das Wohl der Wirtschaft über dem von Mutter Erde ansiedelt. Jedenfalls wird es so interpretiert. Dabei geht es nur um eine gesunde Balance, es geht darum, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten, nicht ein Problem durch ein anderes zu ersetzen.

Das wird heute aber eben nicht mehr gern gesehen. Deshalb fährt man besser, wenn man sich vorbehaltlos in Umweltschutzprojekte stürzt und den ganzen Rest, der auch noch dran hängt, einfach ausblendet. Können wir uns ja später noch darum kümmern, dass ein paar tausend Menschen in Indonesien keine Lebensgrundlage mehr haben, weil wir gerade den Tourismus ausradiert haben.

Das ist zwar alles andere als verantwortungsvoll, aber es klingt viel süsser in den Ohren der Leute, die heute die öffentliche Debatte bestimmen, als wenn man dauernd lästige Fragen stellt.

Auch Milliardäre wissen das. Und suchen sich deshalb für ihre Spendenbereitschaft gern Dinge aus, bei denen sie davon ausgehen können, dass Twitter jubelt.

Übrigens: Hansjörg Wyss kauft zusammen mit anderen Gutbetuchten gerade den englischen Fussballverein Chelsea. Vielleicht mag er ja einfach Fussball und erfüllt sich damit einen Kindheitstraum. Aber internationaler Spitzenfussball, ist das nicht die Ikone der umweltfeindlichen Konsumwut, der exorbitanten Löhne, verschandeln nicht Weltmeisterschaften in dafür nicht vorbereiteten Ländern auf Generationen hinaus die Landschaft, werden nicht die miserablen Bedingungen der Menschen beklagt, die Stadien bauen müssen?

Scheint auf den ersten Blick etwas widersprüchlich. Aber vielleicht ist das auch Teil eines grösseren Plans. Vielleicht können auf der nicht genutzten Rasenfläche nach abgeschlossener WM irgendwelche seltenen Vögel nisten.