Ich will kein Geld für dieses Buch ausgeben. Aber andererseits ist es eben meine Aufgabe, mich auf Widerwärtigem zu stellen. Es geht um das Buch von Jens Spahn, dem früheren deutschen Gesundheitsminister. Er fordert gegenseitiges Verzeihen. Und meine Neugier darauf, wie er das begründet, ist grenzenlos.
Damit ist auch gleich klar: Ich kann nicht über das Buch sprechen, das im Herbst 2022 erschienen ist, weil ich es schlicht (noch) nicht gelesen habe. Aber auch wenn es heisst «Don’t judge a book by its cover», scheint mir bereits der Titel vielsagend. Er lautet:
«Wir werden einander viel verzeihen müssen»
Die Beschreibung in den Buchshops klingt ein bisschen nach Dalai Lama. Es gehe unter anderem um die folgende Fragen:
«Wie können wir uns wappnen für kommende Krisen? Wie die erbitterten Gegensätze versöhnen, wie heilen, was unheilbar scheint?»
Die erste Frage ist recht einfach zu beantworten: Indem wir bei «kommenden Krisen» zunächst einmal tief durchatmen und uns fragen: Ist das eine Krise? Und wenn ja, wie schlimm ist sie? Und wie weit gehen wir bei ihrer Bewältigung? Wo liegen die Grenzen? Menschlich, verfassungsrechtlich, finanziell?
In Frage 2 geht es um «Versöhnung». Und da wird es richtig lustig. Ich muss mich mit niemandem «versöhnen». Ich habe niemandem etwas getan. Ich habe niemanden ausgegrenzt oder ausgesperrt, ich habe keine Kinder und Jugendlichen in die Psychiatrie getrieben, ich habe keine Existenzen ruiniert. Und parallel dazu habe ich übrigens auch keine Menschenleben auf dem Gewissen, wie das immer mal wieder suggeriert wurde. Ich habe in den letzten drei Jahren einfach mein Leben gelebt und gleichzeitig auf die Widersprüche hingewiesen, die der Kampf gegen Covid-19 aneinander gereiht hat. Und die, Verzeihung, inzwischen als weitgehend aufgedeckt gelten dürfen.
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Jens Spahn stellt es nun so dar, als wären sich zwei verfeindete Gruppen gegenübergestanden, die sich Böses antaten. Ich wüsste nicht, wo das je der Fall war. Wir hatten es mit einer Politik zu tun, die in Tatgemeinschaft mit den Medien definierte, wer «die Guten» sind und «die Bösen». Dieselbe Achse hat danach alles dafür getan, dass «die Guten» straflos «die Bösen» diskriminieren durften. Es gab Leute, die eine Spaltung vorangetrieben haben und solche, die darunter litten. Die Frage, wer hier Täter und wer Opfer war, ist keine. Es ist offensichtlich.
Aber nun möchte Herr Spahn, dass wir uns gegenseitig verzeihen. Wenn er das will, soll er mir bitte zuerst erklären, wer mir etwas verzeihen muss. Wem ich was genau angetan haben soll.
Wenn man möchte, dass ich jemanden verzeihe, muss man dafür zuerst den Unsinn aus der Welt schaffen, dass mir ebenfalls irgendjemand verzeihen muss. Wofür denn bitte? Dafür, dass ich aus Restaurants ausgesperrt wurde? Dafür, dass meine Kinder ohne Not zuhause unterrichtet werden mussten? Dafür, dass ich täglich eine dreistellige Zahl von E-Mails von verzweifelten Menschen erhalten habe, denen ich irgendwann nicht mal antworten konnte? Sorry dafür übrigens. Es war irgendwann einfach zu viel.
Nein, wir werden nicht «einander viel verzeihen müssen». Wir werden auf die Entschuldigung der Leute warten, die nach der Impfung in die geschenkte Bratwurst bissen, bevor sie den Flug nach Kreta buchten und von dort aus die Menschen auslachten, die zuhause bleiben mussten. Wir werden auf das Schuldeingeständnis von Politik und Medien warten, die endlich einräumen sollen, dass sie – ob aus Überforderung oder bewusst – ohne Not die Gesellschaft in Geiselhaft nahmen. Wir werden auf das «Sorry!» von Leuten wie Jens Spahn warten, die eingestehen, wie grenzenlos falsch sie lagen und wie sehr sie unsere Gesellschaft nachhaltig geschädigt haben.
Es geht nicht um «Versöhnung». Es geht um die Frage, ob wir bereit sind, die Entschuldigung anzunehmen, auf die wir schon so lange warten. Ich weiss vom Austausch mit meiner Leserschaft, dass viele nicht bereit sind, das zu tun, und ich begreife es. Entschuldigungen sind etwas Grossartiges, wenn sie ehrlich sind. Aber wenn jetzt noch jemals eine kommt, dann nicht aus freien Stücken, sondern weil es gar nicht mehr anders geht. Es würde nur dem politischen Überleben der Verantwortlichen dienen. Es wäre nichts anderes als Strategie.
Von mir kommt jedenfalls keine Entschuldigung, weil ich bereits weitergezogen bin. Was auch immer die Leute sagen, die das alles verursacht haben: Ich setze mich damit nicht auseinander, weil ich stattdessen darüber nachdenke, was sie als Nächstes versuchen könnten und mich dafür wappnen will. Die Versöhnungs-Debatte ist ein Ablenkungsmanöver. Während wir darüber sprechen sollen, wer angeblich wem irgendetwas vergeben soll, ist die Bahn offen für den nächsten Wahnsinn. Jedenfalls, bis sie endlich eingestehen: Das war falsch, sehr, sehr falsch, und es darf nie wieder passieren.
Und darauf, liebe Freunde, können wir lange warten.
Dranbleiben. Weil es noch nicht vorbei ist. Danke für Ihre Hilfe.