Was täten wir nur ohne die «News-Scouts», welche die Hersteller von bedrucktem Papier mit wichtigen Informationen eindecken? Heute geht es um eine herzzerreissende Story in «20 Minuten» – und die Erkenntnis, dass es Leute gibt, die mehr wert sind als andere.
Ich wurde als Mann geboren, fühle mich als Mann und bin auch aus behördlicher Perspektive nach wie vor als Mann unterwegs. Damit bin ich für die LGBTQ+-Bewegten automatisch ein banaler Binärer – ich glaube ans Zweigestirn der Biologie.
Vielleicht tue ich das ja gar nicht. Vielleicht bin ich davon überzeugt, dass es 12’491 Geschlechter gibt, aber eine davon «Mann» heisst und ich zu dieser Gruppe gehöre? Warum ist man eigentlich automatisch «binär», wenn man sich selbst als eines von den beiden Geschlechtern definiert, die bis vor kurzem als die einzigen galten? Warum müssen wir grenzenlos tolerant sein gegenüber jeder noch so verrückten Idee, dürfen aber nicht mit Toleranz rechnen, wenn wir uns als das definieren, was wir bei Geburt waren?
Ja, ich weiss, ich muss verrückt sein, die Frage nur schon zu stellen. Es hat ja längst nichts mehr Gültigkeit.
Aber ich tue es aus aktuellem Anlass. «20 Minuten» berichtet schockiert von einer Person, die offenbar mal als Mann zur Welt gekommen ist und nun seit einigen Monaten in der Transformation zur Frau – oder zu was auch immer sonst eben – steckt. Leider hält ihr Foto auf dem Swisspass der SBB mit dieser Entwicklung nicht Stand, und das sorgt bei der Ticketkontrolle für Verwirrung. Was, pardon, nicht ganz unverständlich ist. Wenn ich auf einem Bild einen Mann – nach meiner total eingeschränkten binären Perspektive – sehe und vor mir eine Frau sitzt, habe ich Fragen, sobald es um die Gültigkeit eines Ausweisdokuments geht.
«Yoga», das Wesen in der Transformation, ist nun traumatisiert, weil sie es zuletzt sogar mit der Bahnpolizei zu tun bekommen hat. Es ist nicht überliefert, dass er/sie dabei besonders hart angegangen worden wäre. Die Konfrontation, das blosse Hinterfragen der Situation, war offenbar bereits zu viel. Er/sie weint sich nun bei «20 Minuten» aus und findet dort offene Ohren.
In den vergangenen zwei Jahren wurden tausende, vermutlich eher zehntausende von Menschen im öffentlichen Verkehr konfrontiert. Von Angestellten, die ihre Kompetenzen nicht kennen, von übereifrigen Bürgerpolizisten, von der Bahnpolizei. Dasselbe kann man vom Aufenthalt in Läden oder der Gastronomie sagen. Sie alle könnten davon sprechen, dass sie traumatisiert wurden. Allerdings nur, weil sie ihre Rechte in Anspruch nahmen – nicht, weil sie irgendwann beschlossen, anders auszusehen als sie auf ihrem Swisspass aussehen.
Die meisten Medien hat das nie gekümmert. Im Gegenteil, sie haben teilweise sogar zur Hetzjagd auf «Unmaskierte» aufgerufen, sie wollten Bilder von Menschen, die sich gegen absurde Regeln wehrten.
Da musste erst «Yoga» auftauchen, um das Bewusstsein zu schärfen. Wobei das natürlich nicht der Fall ist. Es hat eben einfach jemand aus dem «richtigen Lager» gejammert. Dann rennen die Journalisten.