Die NZZ geniesst international einen hervorragenden Ruf. Im eigenen Land ist die Bilanz durchzogen. Hin und wieder gibt es Sternstunden, dann folgt wieder der Totalabsturz. Einen solchen bildet die jüngste Ausgabe von «NZZ Standpunkte». Die Sendung ruft förmlich danach, in ihre Einzelteile seziert zu werden.
Der Infektiologe Huldrych Günthard ist leitender Arzt am Unispital Zürich und war hier auch schon mal ein Thema. Vorauszuschicken ist: Der Mann ist um Welten gebildeter als ich, was den akademischen Weg angeht. Ich kann ihm nicht das Wasser reichen, wenn es um sein Fachgebiet geht, keine Frage. Ich habe durchaus Respekt vor Leuten, die ein medizinische Studium absolviert haben.
Wo ich mich hingegen jederzeit auf einen Wettbewerb mit ihm einlassen würde: In Sachen gesunder Menschenverstand. Und wenn es darum geht, das Offensichtliche nicht einfach auszublenden, weil man es nicht sehen will.
Günthard war zu Gast in der Sendung «NZZ Standpunkte», die man hier nachschauen kann. Leuten, die nicht mit völliger Betriebsblindheit geschlagen sind, wird in diesem Gespräch einiges auffallen. Das Nötigste daraus führe ich hier gerne auf. Das spart Zeit.
Ein Thema der Sendung war die aktuelle Übersterblichkeit bei den über 65-Jährigen. Ein Phänomen, das die Wissenschaft dringend untersuchen sollte. Nun haben wir aber das Problem, dass die Wissenschaft in der Schweiz inzwischen keine absolute Freiheit mehr geniesst. So muss sie beispielsweise streng darauf achten, dass das Ergebnis ihrer Untersuchungen niemals, unter keinen Umständen auf die Covid-19-Impfung hinweist. Die wird als Ursache für jedes Problem von vorne herein ausgeschlossen. Daran hält sich natürlich auch Huldrych Günthard.
Was bedeutet, dass nicht mehr viel bleibt. Was haben wir denn neben der Impfoffensive der letzten zwei Jahre als andere mögliche Ursache einer überraschenden Übersterblichkeit? Natürlich nur Corona. Und weil das Virus auch schuld war, wenn ein 98-jähriger mit multiplen Krebserkrankungen an einem Herzversagen starb, muss es auch jetzt wieder Covid-19 sein.
Wir sind Herrn Günthard natürlich dankbar, dass er das nicht gleich in dieser Deutlichkeit sagt. Er belässt es bei: «Einiges deutet darauf hin». Was natürlich auch Unsinn ist, einfach schwächer formuliert. Danach begibt er sich aber umgehend wieder ins Reich der völligen Fabeln. Er sagt: Jemand mit einer chronischen Herzerkrankung könnte auch noch Monate nach einer Coronaerkrankung an einem Herzschlag oder einem Hirnschlag sterben. Also eben doch vermutlich Spätwirkungen des Virus. Dafür gibt es keinen einzigen Beleg. Es ist das Gedankenkonstrukt von einem, für den Covid-19 einfach für alles zuständig ist, auch für die Probleme mit der Schwiegermutter.
(Und nun bitte keine unnötigen Zwischenrufe. Ja, die Covid-19-Impfung wurde aufgrund zahlreicher Fälle und Studien mit Herzproblemen in Verbindung gebracht, aber die war es natürlich nicht. Basta. Wo kämen wir denn da hin, wenn wir einfach einen neuen Player ins Spiel bringen?)
Dass die Leute ein halbes Jahr nach Ansteckung aufgrund des Virus tot umfallen, lässt sich leider nicht nachweisen, und das räumt auch der Infektiologe ein. Dazu sagt er: «Es ist extrem schwierig, den Kausalitätsbeweis zu führen.» Aber das hindert ihn nicht daran, die These einfach mal in den Raum zu stellen. Während er für den Nachweis eines Zusammenhangs mit der Impfung vermutlich 15’000 Studien und eine Unterschrift des Papstes einfordern würde, bevor er ihn für denkbar halten würde.
Wir sind wieder an dem Punkt, an dem wir schon so oft waren: Im Zweifelsfall war es immer Covid-19. Die Impfung wäre es nicht einmal, wenn sämtliche Geimpfte heute zeitgleich um 23.59 Uhr tot umsacken würden.
Der gute Herr Günthard hatte danach in der Sendung ein Problem. Er wollte die Kameras nutzen, um den Panikpegel hochzuhalten, nur geben das die Zahlen längst nicht mehr her (wenn sie es je hergaben). Schön doof, dass die neuen Virusvarianten höchstens noch zu einem Hüstelchen führen und die Spitäler kein Corona-, sondern ein selbst verursachtes Personalproblem haben. Wie soll er da den Zuschauern Angst machen?
Ganz einfach: Mit dem, das sich weder beweisen noch widerlegen lässt. Mit wilden Prognosen, mit einer Diagnose, die bis heute nicht klar definiert ist. Mit den Langzeitfolgen. «Long Covid» sei «eine Belastung für das Gesundheitssystem, auch finanziell», sagt der Infektiologe. Das glauben wir ihm aufs Wort. Früher war jeder Kranke im Spital ein Coronaopfer, heute ist er einfach ein Opfer von Long Covid. Wer das Virus irgendwann mal eingefangen hat und danach einige Tage im Bett lag, der gilt bei jedem künftigen gesundheitlichen Problem als Langzeitgeschädigter von Covid-19. Auch nach zehn Jahren noch vermutlich. So lässt sich auch eine Statistik basteln, welche die riesige Gefahr dahinter bestätigt.
Und eben: Impfgeschädigte sind natürlich keine Belastung für das Gesundheitswesen. Weil Politik und die Experten, die von der Politik handverlesen wurden, einfach sagen, dass es gar keine Impfgeschädigten gibt. Ganz schön praktisch.
Und wie lösen wir nun das Problem, das eigentlich keines ist? Natürlich mit einer Lösung, die keine ist: Mit Auffrischungsimpfungen. Der Booster sei «grundsätzlich für jeden sinnvoll», so Günthard. Er beruft sich auf Untersuchungen, wonach dadurch schwere Verläufe seltener werden. Solche Untersuchungen gibt es sicherlich. Man findet für alles eine passende Studie. Wie aussagekräftig sie ist, das ist eine andere Frage. Und sollte eine seriöse Studie zeigen, wie wirkungslos, aber gefährlich die Impfung ist, kann man sie einfach ignorieren. Hätte ich mit 20 gewusst, wie einfach Wissenschaft sein kann, wäre ich nicht Journalist geworden.
Achtung, jetzt jetzt wird es richtig unappetitlich. Deshalb zitiere ich direkt aus der «NZZ», weil ich wirklich keine Lust habe, die folgenden Zeilen durch eine sprachliche Überarbeitung auch noch zu veredeln. Hier, bitte:
Wer Corona auf die leichte Schulter nehme, müsse sich im Klaren sein, dass er damit nicht nur die eigene Gesundheit gefährde, sondern auch für die Allgemeinheit eine «echte Belastung» darstelle. Gleichwohl spricht sich Günthard gegen einen Impfzwang aus. «Meine Philosophie ist, einfach zu überzeugen versuchen», so der Experte. Wer sich nicht überzeugen lasse, müsse im Spital «dann aber auch nicht weinen. Und wenn die Leute uns dann noch beschuldigen wollen, dass sie jetzt schwer krank sind: Da hält sich mein Mitleid in Grenzen.»
Es ist, als wäre nie etwas gewesen. Als wäre die Impflüge den Beteiligten nicht um die Ohren geflogen. Als wüsste nicht das ganze Land inzwischen, dass uns eine Legende verkauft wurde. Wer sich nicht impft, gefährdet die Allgemeinheit, sagt Huldrych Günthard. Ich muss annehmen, dass er das selber immer noch glaubt. Wenn dem so ist, besuche ich künftig einen Schamanen in der Inneren Mongolei, wenn ich eine medizinische Expertise brauche.
Und was seine trotz aller Gegenbeweise anhaltende Diffamierung Ungeimpfter angeht: Mit Rücksicht auf meine eigene Gemütslage verzichte ich darauf, das näher zu beleuchten. Widerlicher geht es kaum.
Aber die Sendung endet versöhnlich. Der Herr vom Unispital sagt, er würde sogar «den stursten Impfverweigerern helfen». Ist der Mann nicht einfach die Grossmut in Person? Dumm nur, dass die «Impfverweigerer» seine Hilfe in den seltensten Fällen nötig haben. Unterstützung brauchen derzeit vor allem Impfgeschädigte. Aber weil es die für Herrn Günthard nicht gibt, dürfen sie wohl auch keine Hilfe erwarten. Sie müssten zuerst schriftlich bestätigen, unter «Long Covid» zu leiden, erst dann würden sie für unser Gesundheitssystem akzeptabel.
Und hier der wirkliche Schlusspunkt. Huldrych Günthard sagt: «Ich bin ja nicht beruflich Corona-Experte. Dass ich jetzt so viel in den Medien gekommen bin, das habe ich nie geplant. Und ich habe mich dann natürlich immer wieder gefragt: Warum bin ich jetzt da?»
Endlich verstehen wir uns, der Herr Infektiologe und ich. Endlich sind wir einer Meinung. Denn auch ich frage mich das schon seit einiger Zeit: Ja, warum sind Sie jetzt da? Und vor allem: Wie lange noch?