Die (gewollte) Lernunfähigkeit der Medien

Wären unsere grossen Medien Häuser, wäre es mit einem neuen Anstrich nicht getan. Der Sanierungsbedarf ist um einiges höher. Wenn es denn mit einer banalen Renovation überhaupt getan ist. Ein aktuelles Beispiel.

Man sollte generell keine zu hohe Erwartungshaltung haben, wenn es um das Portal nau.ch geht. Dieses Medium ist gewissermassen in einem auf den Kopf gestellten Prozess entstanden. Normalerweise gründet jemand eine Zeitung und bemüht sich dann um Verbreitungskanäle. Die Macher von nau.ch hingegen hatten den Kanal – die unzähligen Screens in Bussen, Zügen, an Tankstellen usw. – und fabrizierten danach ihr eigenes Medium, das sie nun unter anderem über diese Bildschirme ausspielen. Journalistischer Ehrgeiz steckt da sichtllich nicht viel dahinter.

Deshalb spazieren die Leute von nau.ch gelegentlich auch gern sogar noch unter der Latte hindurch, die sie für sich selbst bereits sehr tief gesetzt haben. Aktuell beispielsweise in diesem Beitrag.

Das Thema wäre durchaus eine nähere Betrachtung wert. Es geht um die «Freunde der Verfassung», eine Bewegung aus Kritikern der Coronamassnahmen. Der Verein wuchs sehr schnell auf um die 15’000 Mitglieder, mehr, als die Grünen in der Schweiz zählen.

Eine solche rasante Entwicklung birgt immer die Gefahr der Implosion. Wenn man so schnell so gross wird, aber noch keine gefestigten Strukturen hat und dann noch Unverträglichkeiten unter den Protagonisten dazu kommen, kann selbst eine anfängliche Erfolgsgeschichte sehr schnell abstürzen. Den «Freunden der Verfassung» könnte das nun blühen, der Vorstand blutet personell aus.

Aber was nau.ch aus der interessanten Ausgangslage macht, ist eine Bankrotterklärung für den Schweizer Journalismus. Pauschalisierend, manipulativ, diskriminierend. Wie in den «besten» Zeiten der Coronasituation.

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So geht es los:

«Als das Coronavirus in die Schweiz gelangte, dauerte es nicht lange, bis sich Verschwörungstheorien zu verbreiten begannen. Viele störten sich an der Maskenpflicht, der Quarantäne und dem Impf-Zertifikat.»

Was für ein Kunstgriff. Sezieren wir ihn kurz:

  • Munter wird weiter von «Verschwörungstheorien» gesprochen, während wir bis heute auf einen Beleg der Wirksamkeit der Massnahmen warten. Kritik an der offiziellen Politik bleibt für nau.ch gnadenlos eine Verschwörung. Obschon die Beweislast bei der Politik lag, nicht bei den Kritikern.
  • Nachdem die «Verschwörungstheorie»-Suppe angerichtet wurde, kann man alle in diesen Sud werfen, die einem nicht passen. Du hast ein Problem mit der Maske? Du wendest dich gegen die Spaltung der Gesellschaft durch ein Zertifikat? Dann gehörst du in diesen unappetitlichen Brei. Jede Form von Kritik ist inakzeptabel. Völlig egal, wie wissenschaftlich untermauert sie ist.

Wir müssen gar nicht erst darüber sprechen, dass das, was für nau.ch unter «Verschwörungstheorien» läuft, regelmässig mit etwas zeitlichem Abstand zur Tatsache wurde. Ein Beispiel aus der Nachbarschaft: Wenn sogar der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach einräumen muss, dass die Schliessung der Kindertagesstätten wirkungslos und unnötig war und dieselbe Frage nun bei den Schulschliessungen erhoben wird, wie kann man dann heute noch ernsthaft behaupten, die Kritik an dieser Massnahme sei der Verbreitung von Verschwörungstheorien zu verdanken? Inzwischen ist ja klar, wie richtig die Kritiker lagen.

Nun haben wir das Problem, dass die Story noch ein bisschen dünn ist. Sie besteht bisher eigentlich nur aus Beleidigungen mündiger Staatsbürger. Daher muss die Geheimwaffe ran: Marko Kovic.

Dessen Kernkompetenz besteht darin, dass er von Journalisten sehr schnell auffindbar ist und schlicht zu allem etwas sagt, ob er nun eine Ahnung hat oder nicht. Medienschaffende lieben leicht zugängliche Auskunftspersonen, es spart viel Arbeit. Deshalb kommen auch dauernd dieselben «Experten» zu Wort.

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Kovic macht zunächst eine prognostische Bestandesaufnahme in der Art von «vielleicht löst sich der Verein auf, vielleicht vegetiert er vor sich hin, alles ist möglich». Das hätte auch der Student von nau.ch geschafft, der gerade das Archiv alphabetisch ordnet. Dann wird er doch noch konkreter. Die «Freunde der Verfassung», meint er, verschwinden nicht zwangsläufig. Denn:

«Weil eine Organisation intern Krach hat, bedeutet das nicht, dass die Bewegung an sich nicht mehr motiviert ist», warnt Kovic. Man solle deren organisatorische Probleme nicht «vorschnell mit einem Schwund an ideologischem Eifer in der massnahmenkritischen, verschwörungsideologischen Szene gleichsetzen».

Ideologischen Eifer legt in erster Linie Marko Kovic seit rund zwei Jahren an den Tag. Missionarisch trifft es vielleicht noch besser. Der Zeitung kann man es nicht vorwerfen, was er sagt, aber hier kommt der nächste Kunstgriff: Kovic sagt das nicht nur, er «warnt». Diese Wortwahl stammt von der Autorin des Textes. Es ist eine absolut unzulässige, weil völlig subjektive Einordnung dessen, was ihr Interviewpartner von sich gibt. Ohne Zweifel meint es Kovic «warnend», aber es ist eine andere Geschichte, ob er das sagt oder die Journalistin. Sie macht mit dieser Wortwahl deutlich: Sie findet auch, dass ein Weiterbestand der «Freunde der Verfassung» eine Gefahr darstellt. Sie lässt ihn nicht einfach reden, sondern unterlegt seine Worte mit ihrer ganz eigenen Beurteilung.

Was natürlich deutlich macht – und auch nicht besonders neu ist – dass es nie um eine neutrale Auslegeordnung des Zustands einer Bürgerrechtsbewegung ging. Sondern darum, sie anlässlich interner Probleme möglichst schlecht da stehen zu lassen. Und in diesem Zug gleich jeden, der massnahmenkritisch ist, als verrückten Verschwörungstheoretiker zu brandmarken.

Also eben einfach das, was man heutzutage offenbar unter Journalismus versteht.