Der organisierte pure Hass: Die «Hate Leaks» – und was sie enthüllen

Selbsternannte Kämpfer gegen den Hass im Netz rotten sich zusammen, um eine Journalistin beruflich zu vernichten. Mit konzertierten Aktionen, unterstützt von Politikerinnen und Medienschaffenden. Klingt nach Hollywood, fand aber in der Schweiz statt. Willkommen bei den «Hate Leaks».

Ich war hier in den vergangenen Tagen nicht besonders fleissig unterwegs, Verzeihung dafür. Die Beine hoch gelegt habe ich in dieser Zeit allerdings nicht.

Heute war der Startschuss einer Artikelserie, an der ich beteiligt bin. Es geht um eine aus meiner Sicht hochbrisante Angelegenheit: Eine Facebook-Chatgruppe mit über 20 beteiligten Frauen auf einer Shitstorm-Mission. Gemeinsam hatten sie sich zum Ziel gesetzt, das Buch der Journalistin Michèle Binswanger über die Zuger Landammann-Feier zu verhindern. Gelingen sollte das, indem die Autorin öffentlich unmöglich gemacht wird. Initiiert wurde die Gruppe von Jolanda Spiess-Hegglin, einer der Protagonistinnen in dem Fall, der danach lange für Schlagzeilen gesorgt hatte.

Der erste Teil dieser Serie ist inzwischen online und kann hier gelesen werden. In der «Weltwoche» habe ich einen Kurzabriss zum Geschehen gemacht, den man hier findet.

Was geschehen ist, dürfte ziemlich einzigartig sein. Leute, die vorgeben, den Hass im Netz zu bekämpfen und dafür Geld, Preise und öffentliche Anerkennung erhalten haben, rotten sich zusammen, um zu diskutieren, wie man den Hass gegen eine einzelne Person im Netz orchestrieren kann. Nach der Lektüre des Chatprotokolls – weit über 1000 A4-Seiten – muss ich feststellen: Das war keine Selbsthilfegruppe, die einfach ein bisschen Dampf ablassen wollte. Das war eine bis ins Detail organisierte Mission mit ganz klaren Zielen und Vorgaben. Die wichtigsten Protagonisten werden wir in Teil 2 vorstellen.

Was in den sozialen Medien seit Montagmittag abläuft, ist frappant. Die galoppierenden Horden der Verteidiger von Jolanda Spiess-Hegglin und ihrem Verein «NetzCourage» versuchen, die Artikelserie als Kampagne und Lügengeschichte darzustellen. Obschon alles fein säuberlich dokumentiert ist und derzeit nicht einmal ansatzweise publiziert wurde, wie tief es ging. Und obschon hier nur etwas den Begriff «Kampagne» verdient: Das, was diese Chatgruppe gemacht hat. Spoiler: Sie sagen das sogar selbst.

Offenbar kann nicht sein, was nicht sein darf. Natürlich ist es unangenehm, das alles zu erfahren, wenn man die Frau zuvor jahrelang unterstützt hat. Aber wenn die Fakten auf dem Tisch liegen, ist es vielleicht an der Zeit, die eigene Position zu überdenken.

Während ich sehr entspannt auf die Strafanzeige warte (die so sicher kommt wie das Amen in der Kirche) schreibe ich nun frohen Mutes weiter. Das hier ist eine Geschichte, die erzählt werden muss. Sie zeigt, wie nicht nur eine Person, sondern auch die Pressefreiheit mit niedersten Methoden zerstört werden sollte – und das von den Leuten, die vorgeben, andere Menschen vor Hass schützen zu wollen.