Lieber Staat. Was soll ich bloss mit dir tun?

Ein offener Brief an meine Heimat. Meinen Heimatstaat. Das Ding, das mir meinen Pass ausgestellt hat. Diesen Flecken auf dem Globus, der mir Sicherheit bieten soll, wenn ich sonst nirgends mehr hin kann. Hey, Staat, was ist mit dir nur passiert? Bist du noch die Schweiz, wie ich sie mir vorgestellt habe?

Ich gebe zu, ich bin privilegiert. Ich habe zwei Staatsbürgerschaften. Ich könnte mich irgendwo in der Europäischen Union verschanzen. Aber irgendwo tief im Herzen fühlt man sich ja immer stärker verbunden mit einer Nation. In meinem Fall war es die Schweiz.

Ich hatte stets das tiefe Empfinden, dass das etwas Besonderes ist. Rein statistisch gesehen ist es ja schon fast unmöglich, Schweizer zu sein, wenn man zur Welt kommt. Mir ist das gelungen. Was natürlich nicht meine Leistung ist. Aber ich dachte immer: Ich nehme das als Geschenk. Man darf ja auch ein bisschen Glück haben im Leben, nicht wahr? Und dann kann man das auch geniessen. Das Dasein an sich ist schwer genug.

Aber nun: Wie besonders ist es eigentlich noch, Schweizer zu sein? Mit wie viel Stolz kann einen das noch erfüllen?

Dieser Staat tut seit einigen Jahren alles dafür, dass es nichts Besonderes mehr ist. Und dass man keinen Stolz mehr verspüren kann.

Ich erfahre so fast nebenbei, dass du, meine Heimat, nicht den Mut hattest, für die Grundrechte deiner Bürger einzustehen. Du fandest es völlig in Ordnung, die Freiheit deiner Bevölkerung aufzugeben, um nicht dem Ausland nachzustehen. So habe ich jedenfalls das empfunden, was ich hier aufgearbeitet habe.

Meine Existenz, die Existenz von mehreren Millionen anderer Schweizer, ist für dich offenbar nicht bedeutend genug, um dich gegenüber dem Ausland aufzulehnen. Du, mein Staat, hast eine so unglaublich demütige Haltung gegenüber dem Rest der Welt, dass Du bereit bist, meine Rechte zu opfern, um «gut» da zu stehen. Du hast völlig sinnlose Massnahmen übernommen, um das Ausland nicht zu enttäuschen.

Danke für Ihre Unterstützung.

Das muss ich zuerst sinken lassen. Weil ich immer dachte, als Dein Bürger käme ich zuerst. Da lag ich wohl falsch. Dir ist es wichtiger, dass du auf dem diplomatischen Parkett gut aussiehst. Du bist bereit, mir meine Freiheitsrechte zu nehmen, solange dafür irgendwelche Franzosen, Italiener, Spanier oder Deutsche gut von dir denken. Ich bin dir ein bisschen egal, wie ich merke.

Meine Kinder sind dir ebenso egal. Ob sie eine normale Schulbildung geniessen, ob sie unter deiner Politik psychisch leiden: Das ist dir nicht so wichtig. Hauptsache, die Weltgesundheitsorganisation mag dich weiterhin. Du bewegst dich natürlich auf dem diplomatischen Parkett und nicht in meiner Schulgemeinde. Es ist verständlich, dass dich das eine sehr interessiert und das andere gar nicht. Als Vater habe ich wenig Berührungspunkte zur WHO, ich möchte einfach, dass meine Kinder etwas lernen. Dir ist das eher egal. Für dich zählt das internationale Parkett. Da gibt es feine Häppchen an schönen Orten, da würde doch jeder zuschlagen.

Ich habe wirklich keine Ahnung, warum ich vor rund 40 Jahren in der Schule alles Mögliche über Wilhelm Tell und Winkelried lernen musste, wenn ich dann Jahrzehnte später von Leuten regiert werde, die wie pure Pantoffelhelden nicht einmal einen Finger rühren würden, um für die Eigenständigkeit dieses Staates einzustehen.

Was genau hat die Schweiz, wie wir sie heute erleben, mit der Schweiz, wie sie uns einst verkauft wurde, zu tun?

Wenn das Ausland pfeift, schliessen wir mal schnell die Schulen, auch wenn wir wissen, dass das nichts bringt. Wenn das Ausland pfeift, geben wir mal schnell unsere Neutralität auf, auch wenn diese ein zentraler Pfeiler unseres Staates ist. Dieses Land will in erster Linie eines: Allen anderen gefallen. Bloss nicht auffallen, bloss nicht ausscheren, bloss nicht eigenständig sein.

Ich erkenne diese Schweiz nicht mehr. Tun Sie es noch?

Wenn Sie die andere Sicht schätzen: Sie können einen Beitrag dazu leisten.