Hätten Sie’s gewusst? Wenn etwas in der Zeitung steht, stimmt es mit Sicherheit. Stammen die Informationen hingegen aus YouTube, sind es blanke Lügen. Diese Weisheit verdanken wir Thomas Meyer. Er ist ein Tiefgläubiger vor dem Herrn.
«Thomas Meyer, vermutlich 1974 geboren, ist ein Agent des Weltjudentums, der eine Tarnexistenz als Schriftsteller führt. Nicht einmal seine Mutter kennt seinen richtigen Namen.»
So stellt sich Herr Meyer auf seiner Webseite vor. Humor ist nicht diskutierbar. Meinen trifft er damit nicht, aber möglicherweise ist das Kurzporträt ein Brüller bei seinen Fans. Es ist ganz bestimmt lustig auf einer Ebene, die sich mir nicht erschliesst.
Thomas Meyer ist «Schriftsteller und Kolumnist», wie wir in der Beschreibung bei seiner Kolumne auf blick.ch erfahren. Das bin ich beides auch, aber es sind keine geschützten Titel, jeder kann sie sich überstreifen, deshalb verzichte ich dankend darauf, damit herumzuwedeln.
Wenn Schriftsteller und Kolumnist Thomas Meyer für den «Blick» in die Tasten haut, erfahren wir unterm Strich immer dasselbe: Da draussen gibt es eine gute und eine böse Welt, Meyer gehört zur guten, und er sagt uns zielgenau, welches die böse ist. Weil das Leben aber anstrengend ist, macht er sich nicht die Mühe, selbst herauszufinden, wer zu der einen und wer zur anderen Seite gehört. Er lässt es sich sagen. Und übernimmt es blind.
Von wem?
Von den Zeitungen.
Denn die sind eine heilige Instanz. Das waren sie für meine Grosseltern auch, aber die wurden so um den 1. Weltkrieg geboren und hatten keine grosse Auswahl. Meyer, «vermutlich 1974 geboren», hat eine ungleich grössere Auswahl an Informationskanälen. Er entscheidet sich dennoch, die Definition unserer Vorfahren zu übernehmen.
Wie die aussieht, offenbart er ein weiteres Mal in diesem Beitrag. Kurzzusammenfassung: Es gibt DIE Wissenschaft, und sie liegt richtig, und wer etwas anderes sagt, liegt falsch. DIE Wissenschaft schafft unumstössliche Fakten, alles andere ist eine Lüge.
Ich fürchte, Meyer hat nicht verstanden, was Wissenschaft ist, dass sie vom Diskurs, vom Wettbewerb und von der Weiterentwicklung lebt und dass sie nur weiterkommt, WENN sie hinterfragt wird. Die Wissenschaft ist keine unfehlbare Figur aus einer Weltreligion, sie ist in Bewegung. Nur schon deshalb ist der verlinkte Beitrag die Bits und Bytes nicht wert, die für ihn aufgewendet wurden.
Danke für Ihre Unterstützung. Lasst uns 2023 zum Jahr der Wahrheit machen.
Aber es geht weiter. DIE Wissenschaft, so Meyer – der natürlich selbst nicht über die entsprechende Expertise verfügt und sich deshalb auf jemanden verlassen möchte –, steht in seinem Weltbild einem bösen Feind gegenüber: Den Leugnern. Ihre Waffe sind soziale Medien und digitale Plattformen. Zitat aus seinem Beitrag:
Weshalb hingegen Privatpersonen dazu übergehen, das Gegenteil dessen zu glauben, was in der Zeitung steht, und ihr Vertrauen Youtube-Schwätzern schenken, ist etwas komplexer.
Also: Was in der Zeitung steht, stimmt immer, wer das Gegenteil glaubt, ist ein Leugner. Und diese Leugner zieht es zu YouTube, weil dieses – völlig im Gegensatz zu Zeitungen – offen ist für Lügner, Schwurbler und das andere Gesocks. Es kam bisher nie vor, dass EINE Zeitung eine Unwahrheit verbreitet hat. Oder eine Agenda verfolgt hat. Oder die Leser manipuliert hat. Nie. Nie. Nie.
Wenn Meyer Zeitungen so sehr liebt: Hätte er dann nicht allenfalls in den letzten rund drei Wochen mal eine lesen können? Und nachverfolgen, wie uns ein (mindestens) grosser Verlag systematisch hinters Licht geführt hat in Zusammenarbeit mit höchsten Regierungskreisen? Er kann es nicht gelesen haben, denn dann könnte er heute nicht ernsthaft schreiben, es sei des Teufels, das Gegenteil von dem zu glauben, was in der Zeitung steht.
Ernsthaft: Wer heute in einer Debatte das Argument «das stand aber in der Zeitung» verwendet, gehört disqualifiziert. Eigentlich war das schon früher ein denkbar sinnbefreites Argument, aber heute ist es das zweifelsfrei.
Thomas Meyer pathologisiert auch munter. Er sagt den Leuten, die nicht einfach glauben, was in der Zeitung steht, was mit ihnen nicht stimmt. Und er unterstellt ihnen eine durch YouTube und Co. gefütterte Halbbildung. Weil er selbst zu faul ist, sich aus verschiedenen Quellen zu informieren und bequemerweise einfach DER Zeitung alles glaubt, sind alle anderen irgendwie nicht ganz sauber. Das ist eine beliebte Methode: Wenn ich selbst keine Ahnung habe, erkläre ich einfach alle anderen zu Verrückten, dann wirkt mein begrenzter Horizont wie ein endloses Meer der Weisheit.
Lieber Herr Meyer, Zeitungen sind ein Informationskanal. YouTube ist das auch. Unzählige andere Quellen sind das auch. Ob stimmt, was uns gesagt wird, hängt nicht davon ab, ob der Ursprung «Zeitung» oder «YouTube» heisst, sondern lediglich davon, ob es wirklich stimmt oder nicht. Und das findet nur der heraus, der Fragen stellt, weil er Zweifel hat. Der sich zusätzliche Informationen auf allen möglichen Kanälen beschafft, sie vergleicht, Schlüsse zieht, den gesunden Menschenverstand aktiviert. Leute wie Sie, welche die Zeitung lesen und einfach davon ausgehen, dass das Gelesene stimmt, sind die grösste Seuche der Menschheit. Sie liefern sich einem System aus und geben der Willkür Vorschub.
Ich arbeite seit 30 Jahren als Journalist und war bei mehreren Zeitungen beschäftigt. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, das mir allein schon das den Status des Fackelträgers der Wahrheit verleiht. Ich musste mich stets bemühen, die Wahrheit zu suchen. Ich konnte nicht einfach schreiben, dass die Erde flach ist, und das wurde in dem Moment zur Tatsache, in dem es in der Zeitung stand. Es wäre immer noch falsch gewesen, auch wenn es in DER Zeitung stand. Was ist das für eine absurde Definitionskette?
Und dann, bitte bleibt jetzt stark, schreibt «Schriftsteller und Kolumnist» Thomas Meyer auch noch das hier:
Demokratie hat viel mit Aufklärung zu tun, weswegen «alternative Fakten» ein ernsthaftes Problem darstellen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt – und entschlossenen Widerstand erfordern.
Hier ist es wieder. Es gibt Fakten, und die stehen nur in Zeitungen, und wenn irgendwo anders das Gegenteil davon steht, sind das automatisch «alternative Fakten», die natürlich keine Fakten sind.
Wie kann man das glauben? Wie kann man glauben, dass das, was in DER Zeitung steht, die Wahrheit ist und alles, was dem entgegensteht, ein «alternativer Fakt» beziehungsweise eine Lüge? Und wie kann der gesellschaftliche Zusammenhalt leiden, wenn eine Gesellschaft eine Alternative zu dem erhält, was man uns mit dem Baseballschläger als «die Wahrheit» einprügeln wird? Wie kann Widerstand gegen etwas, was uns als einzige Wahrheit verkauft werden, falsch sein? Wie kann es falsch sein, die Wahrheit zu suchen, indem man nicht einfach das als gegeben hinnimmt, was an einem einzigen Ort steht.
Ja, es stimmt. Eine Gesellschaft, die zu 100 Prozent ohne jeden Abweichler glaubt, was in der Zeitung steht, hat einen viel besseren Zusammenhalt. Sie ist viel einfacher zu führen, sie macht keine Probleme, sie ist überaus bequem für die Regierung.
Das hat die Geschichte bewiesen. Sklaven waren schon immer bequem für ihre Besitzer.
Ich bin nicht im Besitz der Wahrheit. Ich suche sie aber konsequent. Danke für Ihre Unterstützung.