Diskutiert die Welt ernsthaft gerade über einen Mantel?

Lionel Messi streift sich eine schwarze Robe über, bevor er den WM-Pokal entgegennimmt. Und die vereinigte Medienwelt ist völlig schockiert. Verständlich, denn es herrschte ein Defizit: Es gab in den letzten Jahren so gut wie nichts, über das man sich als Journalist hätte empören können.

War das die heimliche, stille Übernahme der restlichen Welt durch den Islam? Oder hatte es einfach einen bösartigen Zugwind im WM-Stadion, und man wollte schauen, dass sich Messi nicht verkühlt? Jedenfalls trug er einen schwarzen Umhang, wie er in den katarrischen Gefilden bei höheren Kreisen verbreitet ist, als die ganze Welt am Bildschirm hing. Und nun drehen sie am Rad, die Medienschaffenden.

Entwürdigend sei das gewesen, völlig daneben, eine Machtdemonstration im Nahen Osten gegenüber dem ganzen Globus und überhaupt total daneben: Das ist die Tonalität der Berichte, die seit Sonntag nicht abreissen. Leserkommentatoren werfen noch eine Schippe nach. Die Emotionen kennen keine Grenzen. Es ist gerade, als würde es niemanden mehr interessieren, wer Weltmeister wurde. Der Umhang ist wichtiger.

Dass man sich am Stammtisch aufregt, wie immer natürlich ohne Kenntnis der näheren Umstände: Geschenkt, das darf man. Aber Journalisten? Ernsthaft?

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Man kann in unseren Breitengraden Menschen den Zutritt zur Gastronomie verwehren, ohne dass sich ein Medium aufregt. Man kann private Zusammenkünfte nach «gute Leute» (geimpft) und «schlechte Leute» (ungeimpft) unterteilen, und niemand muckt auf. Man kann feststellen, dass man seine Leser über viele Monate hinweg hinters Licht geführt hat, was die Wirksamkeit eines Impfstoffs angeht, und niemand greift zur Tastatur. Aber wehe, der argentinische Fussballspieler Messi trägt einen schwarzen Umhang. Da werden die Medienschaffenden plötzlich von der Wortwut ergriffen.

Es gab vermutlich noch nie eine grössere Kluft zwischen der eigentlichen Relevanz des Geschehens und der medial abgebildeten Wirklichkeit.

Ich habe selbst früher Boulevardjournalismus gemacht, und zwar bei der Zeitung, die dafür berühmt ist. Ich kenne die Spielregeln und weiss, dass Relevanz nicht das Killerkriterium ist. Es geht darum, was die Menschen bewegt. Nur ist es eine Tatsache, dass sich das auch steuern lässt. Um gewisse Storys kommt man nicht herum, weil sie von allein zum Tagesgespräch werden. Aber das hier ist hausgemacht. Da hätte man auch einfach darüber hinweggehen können.

Aber das wollten die Medien nicht. Weil der kleine Wüstenstaat einfach das perfekte Opfer ist. Was gibt es Schöneres, als die Verfehlungen vor der eigenen Haustür zu übertünchen, indem man mit dem Finger weit weg zeigt? Das ist «wag the dog» vom Feinsten: Einen völligen Nebenschauplatz aufblasen, um die Aufmerksamkeit der Menschen von den wirklichen Problemen wegzuführen.

Dass das so durchsichtig ist wie eine Klarsichtscheibe, spielt keine Rolle. Denn die Medienkonsumenten schauen ganz gerne weg. Und lassen sich dabei noch lieber helfen.