Es ist gut, Fragen zu stellen. Es ist gut, skeptisch zu bleiben. Es ist gut, quer zu denken. Es ist gut, zu zweifeln. Lasst Euch nie einreden, dass IHR das Problem seid, wenn ihr das alles tut. Ganz im Gegenteil: Ihr seid die Lösung. Zur Abwechslung ein Stück Küchentischphilosophie. Und zum Schluss mit einem Geschenk von einem, der so viel mehr sagen konnte, als ich je sagen werde.
Ich sitze gerade hier und überlege mir, was ich am Freitagabend als «Aufheizer» für den Vortragsabend von Daniele Ganser in Kloten sagen soll (Anlass leider ausgebucht). Ich mache diese Dinge immer im letzten Moment. Eigentlich bin ich für meine Verhältnisse sogar früh dran. Manchmal weiss ich erst, was ich sagen werde, wenn ich auf den Parkplatz vor dem Ort des Geschehens fahre. Würde ich meine Gedanken früher ordnen, kämen mir nur neue Gedanken kurz vor Torschluss ins Gehege. Zeitlicher Druck ist etwas Wunderbares. Er zwingt zur Reduktion.
Aber über einen Punkt werde ich am Freitag mit Sicherheit sprechen. Er beschäftigt mich schon lange. Ich habe da nämlich eine Frage.
Wie konnte es geschehen, dass das Wort «Skeptiker» zum Schimpfwort wurde? Und dass das fast flächendeckend akzeptiert wird? Wie ist es möglich, dass ein absolut zentrales Element der Weiterentwicklung unserer Gesellschaft plötzlich negativ behaftet ist? Was ist falsch daran, skeptisch zu sein, skeptisch zu bleiben? Coronaskeptiker, Klimaskeptiker: Die Medien hauen uns diese Begriffe vor den Latz, als wäre es völlig selbstverständlich, dass wir dann angewidert das Gesicht verziehen. Ein Synonym zu «skeptisch» ist laut Duden (dem ich allerdings auch nicht mehr blind vertraue) das Wort «kritisch». Ist das auch ein negativer Begriff? Moment, ja, natürlich: Massnahmenkritiker. Stimmt. Die Rechnung geht auf. Das ist alles gleich furchtbar. Wie schön könnte die Welt sein, wenn niemand mehr skeptisch oder kritisch ist.
Wie konnte es soweit kommen?
Meine ganz persönliche Wahrheit sieht anders aus. Skeptiker sind grossartig. Sie sind das Schmieröl im Getriebe unseres Systems. Ich spreche nicht von Leuten, die aus Prinzip zu allem etwas zu meckern haben und denen nichts gut genug ist. Ich spreche von Leuten, die sich die Freiheit nehmen, das, was Ihnen als Regel, als Gesetz, als Standard vorgesetzt wird, zu hinterfragen. Die wissen wollen, warum etwas so ist, wie es angeblich unbedingt sein muss. Die Belege erwarten. Die davon ausgehen, dass es für jede Entscheidung, für jede Massnahme gute Gründe geben muss und sie das Recht haben, diese einzufordern. Und die es nicht als unanständig, sondern als ihr persönliches Recht empfinden, Fragen zu stellen.
Danke für Ihre Zweifel. Und danke für die Unterstützung an diesen Hort des Zweifels.
Ich denke, wir würden alle noch in Höhlen leben und Mammuts jagen, wenn es in der Geschichte der Menschheit keine Skeptiker gegeben hätte. Wobei offen gesagt dieses Szenario auch schon schlimmer klang als jetzt gerade. So eine Höhle: Derzeit würde ich sie vermutlich nehmen. Ich wäre zwar ein mieser Jäger, aber das würden andere für mich erledigen, und ich würde dann in der Zwischenzeit die Jagd in Form von Höhlenmalereien als Geschichte erzählen. Jeder das, was er kann. Jedenfalls wurden die Neandertaler wenigstens kaum zensiert, wenn sie etwas an die Wände kritzelten.
Meine Erfahrung aus unzähligen Begegnungen ist: Die meisten Leute, die meine Texte lesen, stellen gerne Fragen. Nicht, um anderen lästig zu fallen, sondern, weil nur Fragen überhaupt erst Antworten eröffnen. Weil sie lernen wollen, verstehen wollen, wissen wollen. Und nicht einfach das übernehmen, was man ihnen vorgekaut hat. Aus meiner Sicht müsste das ein Schulfach sein: Skeptisch sein, kritisch sein, Fragen stellen. Aber angeblich ist das alles ganz furchtbar. Wie soll man das denn bitte benoten?
Das sagt uns viel über die andere Seite. Wer Fragen verhindern will, und das geschieht derzeit überall, beweist damit nur eines: Er weiss schon, wie das gewünschte Resultat aussehen soll, und jede weitere Frage könnte das erwünschte Ergebnis gefährden. Deshalb mögen Regierungen und Behörden keine Skeptiker. Eher verstörend ist, dass inzwischen auch die meisten Medien finden, Fragen zu stellen und Zweifel zu äussern sei nicht opportun. Diese unheilige Allianz hat definiert, was wir glauben sollen, und nichts ist schlimmer für sie als Leute, die das nicht einfach blind übernehmen.
Und darum seid Ihr so wichtig. Viel wichtiger als das, was ich hier schreibe. Es wird oft behauptet, Leute wie ich würden nur «eine Blase bedienen». Dieser Vorwurf kommt ausgerechnet von den Leuten, die mit den Mitteln der Zensur, des Totschweigens, der Diskreditierung, der Denunzierung und Diskriminierung die grösste Blase der Weltgeschichte konstruiert haben. Oder besser: Heranmanipuliert. Falls ich wirklich nur eine Blase bediene, dann ist es immerhin eine, die noch so gerne bereit wäre, keine mehr zu sein, weil ihre Fragen und Zweifel auch von denen ausserhalb ernst genommen werden. Es ist kein freiwilliges Verharren in einer Blase. Man hat uns in eine solche gesperrt.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass jeder meiner Gedankengänge von Leuten wie Euch schon tausendfach gedacht wurde. Oft lange vor mir. Es in Worte zu fassen, hat lediglich den Zweck, sichtbar zu machen, dass man damit nicht allein ist. Aber so sehr ich an die Macht der Worte glauben will (und auch glauben muss, weil mir sonst nichts bleibt), so klar ist mir auch, dass diese Worte wertlos sind, wenn ihnen keine Handlung folgt. Es lässt sich nicht bemessen, was meine Worte und die anderer auslösen. Aber nur schon die Ausdauer, mit der so viele Menschen unerschütterlich an den Fragen, den Zweifeln und der Skepsis festhalten, die Einzelne aufwerfen, spricht Bände. Und gibt Hoffnung.
Hier wird Ihre Skepsis noch laut ausgesprochen. Danke für Ihre Unterstützung.
Und wenn ich schon für einmal mit so vergleichsweise leisen Tönen unterwegs bin, erlaube ich mir, im Anschluss Worte eines anderen zu übernehmen, den ich von frühester Jugend verehrt habe. Sein Name ist Wolfgang Borchert, und ich war damals, als ich ihn entdeckte, kindisch stolz darauf, dass wir uns den Geburtstag teilen, den 20. Mai. Völlig vergessen ist er dank einigen guten Deutschlehrern in diesem Land noch nicht, aber er wird viel zu wenig gewürdigt. Ich stelle seine Gedanken in Form seines vermutlich berühmtesten Gedichts an den Schluss als «optionale Lektüre». Borchert hat nicht viel geschrieben, weil ihm die Zeit davonrannte. Aber das Wenige ist bleibend.
Es ist übrigens nicht einfach ein Gedicht gegen den Krieg. Es ist eine Aufforderung, dann Nein zu sagen, wenn man den Weg als falsch begreift. Es ist eine Aufforderung zu Skepsis, zu Zweifeln, zu Fragen. Und damit überlasse ich diesem Meister der schlichten Wahrheit das Wort:
Wolfgang Borchert: Dann gibt es nur eins! (Sag NEIN!)
Du. Mann an der Maschine und Mann in der
Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du
sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe
mehr machen – sondern Stahlhelme und
Maschinengewehre, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mädchen hinterm Ladentisch und
Mädchen im Büro. Wenn sie dir morgen
befehlen, du sollst Granaten füllen und
Zielfernrohre für Scharfschützengewehre
montieren, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen
befehlen, du sollst statt Puder und Kakao
Schiesspulver verkaufen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie dir
morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod
erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Dichter in deiner Stube. Wenn sie dir
morgen befehlen, du sollst keine Liebeslieder,
du sollst Hasslieder singen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Arzt am Krankenbett. Wenn sie dir
morgen befehlen, du sollst die Männer
kriegstauglich schreiben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir
morgen befehlen, du sollst den Mord segnen
und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Kapitän auf dem Dampfer. Wenn sie dir
morgen befehlen, du sollst keinen Weizen
mehr fahren – sondern Kanonen und Panzer,
dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgen
befehlen, du sollst Bomben und Phosphor
über die Städte tragen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Schneider auf deinem Brett. Wenn sie
dir morgen befehlen, du sollst Uniformen zuschneiden,
dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen,
du sollst zum Kriegsgericht gehen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Bahnhof. Wenn sie dir
morgen befehlen, du sollst das Signal zur Abfahrt
geben für den Munitionszug und für den
Truppentransport, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der
Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir den
Gestellungsbefehl bringen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mutter in der Normandie und Mutter in
der Ukraine, du, Mutter in Frisko und London,
du, am Hoangho und am Mississippi, du,
Mutter in Neapel und Hamburg und Kairo und
Oslo – Mütter in allen Erdteilen, Mütter in der
Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt
Kinder gebären, Krankenschwestern für
Kriegslazarette und neue Soldaten für neue
Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt es
nur eins:
Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!
Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn IHR nicht nein sagt, Mütter, dann:
In den lärmenden dampfdunstigen Hafenstädten werden die grossen Schiffe
stöhnend verstummen und wie titanische Mammutkadaver wasserleichig träge
gegen die toten vereinsamten Kaimauern schwanken, algen-, tang- und
muschelüberwest den früher so schimmernden dröhnenden Leib, friedhöflich
fischfaulig duftend, mürbe, siech, gestorben –
die Strassenbahnen werden wie sinnlose glanzlose glasäugige Käfige blöde
verbeult und abgeblättert neben den verwirrten Stahlskeletten der Drähte und
Gleise liegen, hinter morschen dachdurchlöcherten Schuppen, in verlorenen
kraterzerrissenen Straßen –
eine schlammgraue dickbreiige bleierne Stille wird sich heranwälzen,
gefrässig, wachsend, wird anwachsen in den Schulen und Universitäten und
Schauspielhäusern, auf Sport- und Kinderspielplätzen, grausig und gierig,
unaufhaltsam –
der sonnige saftige Wein wird an den verfallenen Hängen verfaulen, der Reis
wird in der verdorrten Erde vertrocknen, die Kartoffel wird auf den
brachliegenden Äckern erfrieren und die Kühe werden ihre totsteifen Beine wie
umgekippte Melkschemel in den Himmel strecken –
in den Instituten werden die genialen Erfindungen der grossen Ärzte sauer
werden, verrotten, pilzig verschimmeln –
in den Küchen, Kammern und Kellern, in den Kühlhäusern und Speichern
werden die letzten Säcke Mehl, die letzten Gläser Erdbeeren, Kürbis und
Kirschsaft verkommen – das Brot unter den umgestürzten Tischen und auf
zersplitterten Tellern wird grün werden und die ausgelaufene Butter wird
stinken wie Schmierseife, das Korn auf den Feldern wird neben verrosteten
Pflügen hingesunken sein wie ein erschlagenes Heer und die qualmenden
Ziegelschornsteine, die Essen und die Schlote der stampfenden Fabriken
werden, vom ewigen Gras zugedeckt, zerbröckeln – zerbröckeln – zerbröckeln –
dann wird der letzte Mensch, mit zerfetzten Gedärmen und verpesteter
Lunge, antwortlos und einsam unter der giftig glühenden Sonne und unter
wankenden Gestirnen umherirren, einsam zwischen den unübersehbaren
Massengräbern und den kalten Götzen der gigantischen betonklotzigen
verödeten Städte, der letzte Mensch, dürr, wahnsinnig, lästernd, klagend – und
seine furchtbare Klage: WARUM? wird ungehört in der Steppe verrinnen, durch
die geborstenen Ruinen wehen, versickern im Schutt der Kirchen, gegen
Hochbunker klatschen, in Blutlachen fallen, ungehört, antwortlos, letzter
Tierschrei des letzten Tieres Mensch – all dieses wird eintreffen, morgen,
morgen vielleicht, vielleicht heute nacht schon, vielleicht heute nacht, wenn – –
wenn – –
wenn ihr nicht NEIN sagt.