Das ist das Schöne an der Coronasituation: Man muss selbst gar keine Worte finden, sondern kann in aller Ruhe die zerlegen, die andere vorlegen. Nebeneffekt: Man merkt, dass ein Doktortitel das Papier nicht wert ist, auf dem er an der Wand hängt.
«Watson»: Das ist das lustige Medium, das superkreative «Listicles» präsentiert (also eine Auflistung von Dingen, die die Welt nicht interessieren in einer Reihenfolge, die keinen Sinn macht). Und bei dem jeder zweite Titel klingt wie «So schlimm ist…», «So toll ist…», «So reich ist…», und natürlich muss man drauf klicken, um zu wissen, wer oder was so schlimm oder so toll oder so reich ist. Mission erfüllt. Erkenntnisgewinn? Also bitte. Wer will denn das wissen?
Warum aber auch nicht. Ich mag leichte Kost. Furchtbar ist nur, das die Onlinezeitung zwischendurch so tut, als hätte sie eine Informationsaufgabe. Oder die Kompetenz zu haben, zu informieren. Oder Leser zu haben, die informiert sein wollen. Trifft alles nicht zu, ist aber leider kein Hinderungsgrund für den Versuch.
Aktuell «informiert» uns «Watson» mit Hilfe der Ärztin Jördis Frommhold, wer auch immer das sein soll, über das Phänomen Long Covid. In voller Länge kann man das hier nachlesen. Ich empfehle aber die kommentierte Version, die hier folgt. Es handelt sich um Ausschnitte aus den Antworten der werten Dame (fett) und meine bescheidenen Anmerkungen (kursiv).
Legen wir los.
Im Titel wird die Ärztin zitiert mit dem Satz:
«Die Langzeitfolgen werden unterschätzt».
Unterschätzt? Nachdem wir gefühlt jeden zweiten Tag etwas darüber zu lesen serviert bekommen? Was will sie denn mehr als den Adelsschlag des Namens «Long Covid», der bereits Langzeitfolgen suggeriert, obschon solche schon rein zeitlich noch nicht mal nachweisbar sein können?
Weiter geht es:
Besonders die ökonomischen Folgen, die sich aus der Krankheit entwickeln dürften, werden unterschätzt.
Hammer, dass eine Ärztin sich Gedanken über ökonomische Folgen macht. Warum hat sie das nicht getan angesichts der massiven ökonomischen Folgen der vielfach unnötigen oder sinnlosen Massnahmen gegen das Coronavirus?
Die Aufklärung über das Krankheitsbild hinkt hinterher. In meinen Augen wäre es sinnvoll, gross angelegte Kampagnen zu starten, wie beispielsweise bei HIV.
Diese Antwort wird erst später interessant. Die gute Frau Frommhold verlangt eine «Aufklärung über das Krankheitsbild». Später im Interview wird sie ausführlich beschreiben, dass kein Mensch wirklich weiss, wie dieses Krankheitsbild aussieht, wie man definieren kann, wer genau darunter leidet und so weiter. Worüber genau will sie denn so aktiv aufklären wie «beispielsweise bei HIV»?
Über 200 Symptome können in den unterschiedlichsten Konstellationen auftreten.
Danke. Womit klar gestellt ist, dass es schlicht und einfach kein einziges Unwohlsein und keine Beschwerde gibt, die man nicht als «Long Covid» bezeichnen kann. Alles geht. Grossartig. Und so praktisch. Wer die Diagnose will, kriegt sie. Denn man kann «200 Symptome» in den Mixer stecken, das Resultat passt immer.
Die Ärztin spricht von «Long Covid» als neuer «Volkskrankheit». Im Interview wird sie darauf angesprochen. Ihre Begründung:
Wenn man allein davon ausgeht, dass 10 Prozent der Ungeimpften, die sich mit Covid-19 infiziert haben, Langzeitfolgen entwickelt, sind das in Deutschland mehrere 100’000 bis Millionen Betroffene.
Ja, wenn man davon ausgeht. Seit zwei Jahren geht die Wissenschaft dauernd «davon aus». Was heisst, dass sie nichts weiss. Wenn man von etwas ausgeht, bedeutet das, dass man keine verlässlichen Zahlen hat, sondern den angefeuchteten Finger in die Luft hält. Im Prinzip müsste man danach nicht mehr weiterlesen. Die Frau geht von etwas aus. Schön. Wertlos.
Gerade junge Patienten erhalten oft eine psychosomatische Diagnose und werden gar nicht erst als Long-Covid-Fälle gezählt.
Davon können viele Leute ein Liedchen singen. Aber nicht betreffend «Long Covid». In der Tat spricht die Schulmedizin gerne von psychosomatischen Problemen, wenn sie keine körperlichen Ursachen findet. Das ist bedauerlicherweise schon lange so. Aber was Frau Frommhold hier relativ direkt sagt: Wenn man keine körperliche Ursache findet, dann ist es – tadaaaa! – immer «Long Covid». Sie geht mit keinem Wort auf die vielen anderen möglichen Diagnosen ein. Sie will eben einfach, dass es «Long Covid» ist. Denn diese Diagnose verschafft ihr die 15 Minuten Ruhm, die ihr bisher verwehrt waren. Oder kann sich jemand daran erinnern, vor Corona von der Dame gehört zu haben?
Long Covid ist bis jetzt eine unheilbare chronische Erkrankung. Aber wir haben durchaus die Möglichkeiten, die Beschwerden zu lindern und die Person zu stabilisieren.
Wir kennen in unseren Breitengraden Covid-19 seit gerade mal zwei Jahren, und bereits ist die Langzeitvariante eine unheilbare chronische Erkrankung. Wissenschaft, wo bist du?
Die Patienten sind sehr verzweifelt und wenn man ihnen sagen würde, «iss getrocknete Skorpione, das hilft», dann würden sie das tun. Da müssen wir extrem aufpassen, dass keine Schindluder mit den Betroffenen getrieben wird.
DAS ist ein wahres Wort. Leuten, die man zwei Jahre lang in die Panik vor einem Virus getrieben hat und die von einer unheilbaren chronischen Erkrankung ausgehen, wenn sie zwei oder drei Wochen nach einer faktischen Grippe noch etwas Mühe haben mit dem Treppensteigen, denen kann man wirklich alles erzählen. Und ja, sie würden auch getrocknete Skorpione essen. Aber woran liegt das? Nur daran, dass sie in die Paranoia geprügelt wurden. Woran auch Leute wie diese Ärztin einen Anteil haben.
Erinnern Sie sich an weiter oben? Wonach man die Beschwerden lindern und die Person stabilisieren kann? Gut. Nun wird es «konkret»:
Ich kann verstehen, dass man die Sache selber in die Hand nehmen will und dabei bereit ist, das Geld für Therapien aufzubringen. Aber man muss einfach ehrlich sein. Weder kann der Erfolg garantiert werden, noch, wie lange die Wirkung anhält.
Huch. Was ist denn in den paar Zeilen dazwischen mit den Beschwerdelinderern und mit den Stabilisierern passiert? Gibt es die plötzlich nicht mehr?
Fassen wir zusammen. Totale Ahnungslosigkeit, verbunden mit einem grossen Sendungsbewusstsein: Das reicht allemal für ein «Fachinterview» bei «Watson».