Im Dschungel der Zitate

Journalisten mögen es nicht, wenn man sie daran erinnert, was sie gestern gesagt haben. Zu oft legt es die kurze Haltbarkeit ihrer Gedanken offen. Beispiele dafür gab es in den letzten zweieinhalb Jahren genügend.

Die auf ewig wirkende Impfung, die auch noch Spermien boostert, ist nur eines davon. Da heisst es: Augen zu und durch. Sprich: Morgen einfach das Gegenteil behaupten und so tun, als wäre da nichts gewesen.

Gleichzeitig hängen Medien Politiker oder andere Leute des öffentlichen Lebens gerne an dem auf, was diese irgendwann früher mal gesagt haben. Das Portal watson.ch macht das anhand der Person von Giorgia Meloni, der italienischen Wahlsiegerin, die wohl die nächste Regierung anführen wird.

«Faschismus, Impfskepsis und anti-Homo-Ehe: Giorgia Melonis Gesinnung in 17 Zitaten», titelt die Onlinezeitung, und die Empörung dampft aus jedem einzelnen Wort. Nicht besonders subtil wird die Skepsis gegenüber der Coronaimpfung auch gleich in die Nähe zum Faschismus gerückt, das kann nie schaden.

Als Leser bereitet man sich auf das Schlimmste vor. Hat Meloni einst ein Loblied auf den Holocaust gesungen und sehnt sich ein viertes Reich herbei? Das wäre ja das Mindeste angesichts der Titelsetzung. Darunter geht es kaum.

Aber die besagten Zitate können die hohen Erwartungen nicht so ganz erfüllen. Die italienische Regierungspräsidentin in spe kritisiert die Rassengesetze und den Kriegseintritt der Faschisten und bezeichnet das Regime als autoritär. Sie sagt auch, dass sie in ihrer Partei Fratelli d’Italia keine Neonazis sehen will.

Gleichzeitig weist sie darauf hin, dass Linke kein Problem mit autoritären Strukturen und der Verletzung von Bürgerrechten haben, solange sie in die «richtige» Richtung laufen, beispielsweise bei Fidel Castro. Und dieser Vergleich, so richtig er ist, macht sie natürlich umgehend wieder zur Unperson, die den Faschismus relativiert.

Giorgia Melon will keine gleichgeschlechtliche Ehe, und wenn es nach ihr geht, sollten nur ein Vater und eine Mutter Kinder adoptieren können. Die blosse Idee, dass es anders sein könnte, war zu Zeiten des Dritten Reichs noch nicht geboren, und Melonis Haltung könnte auch der einstigen CSU entsprungen sein. Aber offenbar ist das Zitat nun ein Beleg dafür, dass sie eine Faschistin ist.

Wie steht es mit dem Prädikat «Impfgegnerin»? Die Wahlsiegerin hat einst gesagt, dass sie ihre Tochter nicht impfen lässt, weil das Risiko-Nutzen-Verhältnis für sie nicht stimmt und der Impfstoff nicht vor einer Ansteckung nützt. Mit keinem Wort hat sie sich generell gegen Impfungen gewandt, sondern nur erklärt, dass sie es nicht mitträgt, wenn eine solche zur «Religion» erklärt wird.

Es folgen ein paar überaus diplomatische und harmlose Zitate zum Verhältnis Italiens zur EU und das klare Bekenntnis zur Nato, aus der man Meloni schwer einen Strick drehen kann. Ausserdem beklagt Meloni, wie viele Straftaten von Leuten begangen werden, die eigentlich gar nicht im Land sein dürften und spricht damit die illegale Einwanderung oder die zu frühe Entlassung von Tätern aus Gefängnissen aufgrund der Überforderung der Behörden an. Damit zieht sie lediglich Schlüsse aus real existierenden Statistiken. Dass Italien ein Problem hat mit der massenweisen Einwanderung und ihren Folgen kann niemand ernsthaft abstreiten. Der Brückenschlag zum Faschismus ist mehr als abenteuerlich.

Dass Giorgia Meloni gegen die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern ablehnt, ist Fakt. Das sollte aber eine erlaubte Haltung sein. Es sei denn natürlich, wir haben inzwischen eine nicht gewählte, unsichtbare Jury, die bestimmte Positionen von vorneherein als nicht zulässig definiert. Ihre Kritik an der Impfkampagne ist ebenfalls mehr als lauter, weil der Impfstoff weder liefert, was versprochen wurde noch die negativen Auswirkungen je sauber abgeklärt wurden.

Aber die Absicht hinter dem Ganzen ist sehr durchsichtig: Man bringe die «Anti-Homo-Parole» und das berechtigte Hinterfragen der Impfkampagne im Titel einfach kurzerhand in Zusammenhang mit «Faschismus» – und schon ist das Bild im Kopf des Lesers präpariert.

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