Der Jäger als Gejagter?

Bundespräsident Alain Berset ist das Opfer einer «Treibjagd», weiss die «Wochenzeitung». Selbst wenn das stimmen würde: Ist da nicht ein bisschen der Fokus verrutscht?

Cédric Wermuth, SP-Co-Präsident, versucht es seit Tagen. Sein Parteikollege, Nationalrat Fabian Molina, ebenfalls. Und Jacqueline Badran, ebenfalls SP-Nationalrätin, sowieso auch und am lautesten.

Es geht um den Versuch, die «Coronaleaks», die früher oder später zur Umschreibung der Geschichte der letzten drei Jahren führen müssen, in eine politische Kampagne gegen einen beliebten Bundesrat umzudeuten.

Die WOZ macht das mit einem langen Beitrag, den sie uns als Enthüllung pur verkauft. Echte Erkenntnisse enthält er wenig. Aber deshalb verwenden die Journalisten auch das Wort «Spurensuche», das keinen Fund vorgaukelt, sondern eben nur eine Suche. Dass die E-Mails von Bersets Ex-Sprecher Peter Lauener auf verschlungenen Pfaden und alles andere als offiziell zu einer Zeitung gelangt sind, ist längst bekannt. Dass derjenige, der dafür gesorgt hat, bestimmte Ziele verfolgt, ist auch nur logisch. Dass er damit Alain Berset schaden will, ist sehr wahrscheinlich.

Das war auch schon alles. Es bleibt die Frage: Na und?

Am Anfang des Ganzen standen handfeste Interessen im Departement des Innern. Diese wurden durch überaus linke Touren verfolgt. Dass Berset im besten Fall nur davon gewusst und nicht aktiv beteiligt war, ändert an der Sachlage nichts. Wenn er es nur schon hat laufen lassen, wäre das Skandal genug. Und dass er davon profitiert hat, ist ohnehin keine Frage.

Wenn die WOZ den amtierenden Bundespräsidenten nun als bedauernswertes Opfer einer Treibjagd inszeniert, ist das eine drastische Umkehrung der Realität. Hätte sein engster Vertrauter nicht die Medien eingespannt, um Unterstützung für Bersets Coronapolitik zu bekommen (soweit jedenfalls die Vermutung), gäbe es auch keine Treibjagd.

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In all den Fällen, in denen Linke sowie linke Journalisten nun darüber weinen, dass man Berset übel mitspielen will, hat er grandiose Vorarbeit dafür geleistet. Es hat ihn niemand zu einer Affäre, Fahrten mit der Staatslimousine in den Schwarzwald, Irrflüge über Frankreich und Einsprachen gegen Handyantennen gezwungen. Es braucht nun wirklich keine Treibjagd, um ihn in diese Fettnäpfchen treten zu lassen. Er hat sie alle selbst aufgestellt.

Auch reichlich seltsam: Wie sich eine Zeitung, die sich gern als Beschützerin der kleinen Leute sieht, nun als Schutzpatron eines Bundesrats gibt. Die unverhältnismässigen Coronamassnahmen haben nicht zuletzt diese «Kleinen» belastet. Stellt sich nun heraus, dass sie nur aufgrund einer Medienstrategie mit Gegenschäften aus den Reihen der Landesregierung möglich waren, müsste die WOZ als erste aufheulen. Aber es ist ihr wichtiger, das Geschehene zu vernebeln und durch die Nebelwaden hindurch nach einer angeblichen Verschwörung bürgerlicher Kreise zu suchen.

Natürlich kann man sich dem Justizleak rund um die aufgetauchten E-Mails journalistisch annehmen. Spannend ist das allemal. Aber im gleichen Atemzug zu verwedeln, was hinter diesen E-Mails steckt, was sie besagen, das ist unseriös. Es entspricht allerdings der Linie der SP-Genossen: Man müsse zuerst untersuchen, was wirklich zwischen Berset und der Ringier-Presse gelaufen ist, noch weiss das keiner, warten wir doch ab – aber die Sache mit den E-Mails von Lauener, da müssen wir gleich mal mit Furor dahinter und eine Salve von Vorverurteilungen abfeuern.

Es ist ein durchsichtiges Manöver. Und ein peinliches. Egal, wie nahe man dem SP-Bundesrat steht, es ist zu offensichtlich, dass hier vieles nicht sauber lief. Aber statt das einzugestehen, regt man sich lieber darüber auf, dass diese Unsauberheiten nun auf dem Tisch liegen. Köpft den Überbringer der schlechten Botschaft – und lasst ansonsten alles, wie es ist.

Ich kann die WOZ beruhigen: Eine politische Treibjagd ist nur dann erfolgreich, wenn Munition im Lauf ist. Diese Munition hat das angebliche Opfer aber selbst in die Waffe eingelegt, um beim Bild zu bleiben.

Kein Geld vom Staat, keine Standleitung ins Bundeshaus – aber Sie und Ihre Unterstützung. Vielen Dank.