Demokratie als Schande?

Wozu stimmen wir eigentlich ab? Mehrheiten werden heute nicht mehr akzeptiert. Jeder Abstimmungsverlierer sagt uns im Namen seiner Klientel, warum das Resultat völlig daneben ist. Man ist nicht einfach nur unzufrieden mit dem Ausgang, sondern suggeriert, dass es diesen gar nicht geben dürfte. Haben diese Leute die Demokratie nicht verstanden?

Das Ja zur AHV-Reform inklusive Erhöhung des Rentenalters für Frauen sei ein «Schlag ins Gesicht aller Frauen», heisst es heute auf der Verliererseite. Nun werden Proteste exerziert. Man demonstriert gegen das Ergebnis einer Volksabstimmung. Gegen wen oder was wird da genau demonstriert? Gegen den Volkswillen?

Jede Initiative durchläuft eine Prüfung, bevor sie zur Abstimmung kommt. Das garantiert, dass das Anliegen nicht beispielsweise gegen die Verfassung verstösst. Was an die Urne kommt, ist also nach dem Buchstaben des Gesetzes rechtens, selbst wenn man den Inhalt nicht teilt. Wie kann man in einer direkten Demokratie gegen den Willen der Mehrheit demonstrieren?

Es gibt zwar in der Tat Fälle, in denen das angebracht ist. Dann aber nicht, weil einem das Resultat nicht schmeckt, sondern weil dieses Resultat nicht sauber erzielt wurde. Das beste Beispiel ist die zweite Abstimmung über das Covid-Gesetz, in dem Sachverhalte vermischt wurden, die nichts miteinander zu tun haben und diese Kombination regelrecht erpresserisch eingesetzt wurde. Damals hiess es, man müsse Ja sagen zur weiteren Verschärfung der Massnahmen, damit notleidende Unternehmen weiterhin finanzielle Unterstützung erhalten. Die beiden Anliegen hätte man problemlos voneinander loskoppeln können. Dazu kam ein verwirrender, irreführender und unvollständiger Text bei der Abstimmungsfrage.

Das alles war bei der AHV-Reform nicht der Fall. Die Sachlage war klar, die Fragestellung ebenso. Entsprechend kann man den Volkswillen 1:1 werten. Selbst wenn, wie schon jetzt suggeriert wird, die meisten Frauen an der Urne gegen die AHV-Reform gewesen sein sollen: Es zählt das Gesamtmehr. Oder möchte man allenfalls in Zukunft einzelnen Gruppen eine Art Vetorecht einräumen, weil sie vom Resultat betroffen sind?

Die Demokratie wird mal wieder ad absurdum geführt. Wenn Abstimmungsverlierer ein Ergebnis als Schlag ins Gesicht werten, dann ist das ihr subjektives Problem, mit dem sie fertig werden müssen. Aber das Resultat grundsätzlich in Frage zu stellen, hiesse, dass wir alle Vorlagen, die einer bestimmten Gruppe nicht schmeckt, gar nicht zur Abstimmung bringen dürften.

Also: Sollen sie demonstrieren, sollen sie protestieren, aber vorher sollen sie bitte erklären, wogegen eigentlich. Wird protestiert gegen die Leute, die Ja zur AHV-Reform gesagt haben? Wird also dagegen protestiert, dass Schweizerinnen und Schweizer ihr Recht zur Stimmabgabe wahrgenommen haben?

Würden die betreffenden linken Damen eine kurze Auszeit von ihrer Empörung nehmen und darüber nachdenken, während sie kurz Luft holen, müsste ihnen selbst auffallen, wie absurd das Ganze ist.