Sorry für die Kunstpause. Es geht weiter.

Huch. Ich stelle mit Erschrecken fest: Ich war einige Tage nicht aktiv. Vielleicht sollte ich das Datum bei den Beiträgen deaktivieren, um die Kontrolle zu erschweren. Aber nun im Ernst: Ich fands in der letzten Zeit schwierig, Worte zu finden.

Vielen verschlägt es die Sprache aufgrund des Kriegs in der Ukraine. Das kann ich für mich nicht in Anspruch nehmen. Bei mir war es eher die Parallelität der Ereignisse, die mich irgendwie mundtot gemacht hat. Zu beobachten, wie eine völlig andere Situation die gleichen Reflexe hervorruft wie die, welche die letzten zwei Jahre in Kraft waren.

Wenn es um die öffentliche Debatte geht, unterscheidet sich der kriegerische Konflikt in der Ukraine nicht von der Coronasituation. Nicht von der Klimawandel-Diskussion. Nicht von der Auseinandersetzung um Genderfragen. Sie unterscheidet sich von keiner einzigen der heiligen Kühe, die in den letzten Jahren durchs Dorf getrieben wurden.

Wie schon zuvor gibt es nur Schwarz und Weiss. Wie zuvor ist es nicht erlaubt, auch nur eine Zwischenfrage zu stellen. Wer das tut, wird dem anderen Lager zugeteilt und ist der Feind. Aktuell heisst das: Russland böse, Ukraine gut und heldenhaft, und keinen Menschen interessieren die Zwischentöne.

Alles lesen. Immer. Für 4 Stutz im Monat.

Informiert ist man, wenn man das ganze Bild hat. Jemand, der sich am Tag 1 auf eine Seite stellt und sich dann jedes Wort verbittet, das eine andere Möglichkeit nur schon eröffnet, will nicht informiert sein. Sondern will Partei sein. Ist man ein «Putin-Versteher», wenn man mehr über die Dynamik zwischen den beiden Ländern und die Rolle der NATO wissen möchte? Offenbar schon. Genau, wie man früher ein Aluhut oder ein Flacherdler war, wenn man wissen wollte, wie relevant die Testresultate oder Fallzahlen sind oder ob ein Lockdown was bringt, ist man heute offenbar ein pro-russischer Kriegstreiber, wenn man gerne mehr wüsste über die Geschichte, die uns an diesen bedauernswerten Punkt gebracht hat.

Die Leute von heute wollen nichts mehr wissen, sie wollen urteilen. Oder verurteilen. Und das in Sekundenschnelle. Verurteilt werden nicht nur Ereignisse und die Personen, die sie auslösen, sondern auch diejenigen, die ein paar Fragen stellen wollen. Die nicht einfach sofort blaugelb angemalt auf die Strasse rennen.

Ich habe keine Ahnung, wann genau das angefangen hat, und noch weniger weiss ich, wie es enden wird. Das einzige, was mir klar ist: Es tut uns nicht gut. Wir wandeln uns von der informierten, reflektierten Gesellschaft zu einer, die am Tag X auf Druck einer brüllenden Truppe auf den sozialen Medien definiert, was richtig und was falsch ist und dann alles diffamiert, was dazu noch einige Fragen hat. Wir sperren also die Debatte aus, wir sperren den Versuch aus, die Dinge zu verstehen, wir geben der schnellen Empörung mehr Raum als der Reflexion.

Hier geht es nicht um Russland und die Ukraine. Hier geht es um unseren Umgang mit komplexen Vorgängen. Ich habe doch weiss Gott nichts dagegen, wenn sich Leute gegen die russische Invasion stellen und demonstrieren. Aber wieso haben jene Leute ein Problem damit, dass jemand sagt: Ich will die ganze Geschichte, ich will sie verstehen, ich will wissen, wie man es verhindern kann, dass so etwas jemals wieder passiert? – Das ist keine Relativierung, das ist keine Verharmlosung, das ist unsere Aufgabe als Einzelner und als Gesellschaft. Zu wissen, worüber wir eigentlich sprechen.

Das ist sehr viel komplexer als sich ein Transparent zu malen und rauszugehen.

Die Faszination des Bösen

So. Mal was fernab von Corona. Ich habe das dringend nötig, meine geneigte Leserschaft sicher auch. Wir brauchen was Angenehmes, Erheiterndes! Wobei, huch: Das habe ich leider nicht zu bieten. Thema heute: Verbrechen.

Ich habe seit früher Jugend eine kleine Obsession. Ich bin besessen vom Bösen. Natürlich nicht direkt, sondern als Konsument. Ich habe Bücher über wahre Verbrechen verschlungen, alles gelesen, was FBI-Profiler über Serienmörder zu sagen haben, und seit es Streamingdienste gibt, stehen mir zu diesem Thema Dokus à discrétion zur Verfügung. Kürzlich musste ich in einer Mischung aus Faszination und Entsetzen feststellen, dass ich diese Leidenschaft auf meine ältere Tochter vererbt habe.

Aber ich bin damit ja generell nicht allein. Ansonsten gäbe es kaum so viele Bücher und Filme zum Thema.

Seit einigen Monaten kann ich mein Interesse auch journalistisch ausleben. Beim «Nebelspalter», bei dem ich ebenfalls tätig bin, betreue ich die Serie «Wahre Verbrechen», die jeweils am Samstag um 18 Uhr läuft. Es hat sich schon ein kleiner Stock an Beiträgen angesammelt, man findet ihn hier, allerdings nur für Abonnenten. Ich gebe gerne zu, dass ich mir damit einen lang gehegten Wunsch erfüllt habe. Auf «Die Ostschweiz» gibt es auch einiges kostenlos zu lesen, zum Beispiel zum Fall der Paketbombe in Buchs oder die ziemlich lange und aufwändige Serie über eine mutmassliche Brandstiftung in Horn. Über diesen Link sind alle acht Teile zu finden.

Es sind ja meist die Abgründe, die uns interessieren. Wenn das Leben eines Menschen aus Freiwilligenarbeit für die Suppenküche und Kirchgang am Sonntag besteht, ist das zwar sehr ehrenhaft, aber nicht besonders fesselnd. Deshalb erhalten die «Bösen» mehr Aufmerksamkeit. Ungerecht, klar, aber Realität.

Die Fallsuche, die ich für die Serie beim «Nebelspalter» betreibe, fördert viele Dinge zutage, die man gerne für nicht möglich hält. Gelegentlich stosse ich auf längst vergessene Verbrechen, bei denen ich mich frage, wie sie in Vergessenheit geraten konnten. Es ist oft nicht die Tat an sich, die mich interessiert, sondern das Motiv. Was treibt Menschen zu einem Schritt, der – gottlob – für die meisten von uns unvorstellbar ist? Ein Teil der Antwort liegt meist in ihrer Vergangenheit. Die Gene mögen eine Rolle spielen, die Sozialisierung und das Umfeld erledigen aus meiner Sicht aber den Rest, den es braucht, damit eine Grenze überschritten wird.

Faszinierend ist auch der schmale Grat, der Normalsterbliche und Verbrecher trennt. «Den Kerl bring ich um» haben vermutlich die meisten von uns schon einmal gedacht, wenn uns jemand gehörig auf den Wecker geht. Wir tun das natürlich nicht. Und wir wissen das im Moment des Gedankens. Wer sich mit Verbrechen und der Biografie von Tätern beschäftigt, stellt aber fest, wie wenig es – gewisse Grundanlagen vorausgesetzt – oft braucht, damit aus der Fantasie Realität wird. Oft scheint der Anlass nichtig, oft ist es auch reine Überforderung, die zum entscheidenden Moment der Ausführung führt.

Das soll nicht nach Rechtfertigung klingen. Aber Geschichten wie die des Raubmörders, der als letzter Verurteilter in der Westschweiz hingerichtet wurde, lassen vermuten, dass sein Leben einen völlig anderen Verlauf hätte nehmen können, wenn einige Variablen anders ausgesehen hätten. Eine Kette von Umständen und Ereignissen führt an den Punkt, von dem aus es keine Rückkehr gibt.

Einst hat mich ein Leser meiner Serie kritisiert, ich würde Verbrechern ein Denkmal bauen, indem ich ihre Geschichte erzähle. Ich war einigermassen erstaunt, weil mir dieser Gedanke noch nie gekommen ist. Die These, die Welt wäre eine bessere, wenn wir die unschönen Teile der Menschheitsgeschichte einfach totschweigen, scheint mir reichlich absurd. Ist es ein Denkmal, wenn jemand eine Hitler-Biografie schreibt? Oder dient es nicht viel eher dem Versuch, nicht zu vergessen?

In einer Podcast-Serie von Spotify über Serienmörder, die ich ansonsten sehr gut gemacht finde, stösst mich auch die dauernde Verwendung von Begriffen wie «Monster» ab. Offensichtlich haben viele Autoren Angst, Täter als Menschen zu bezeichnen. Sie versuchen, eine neue Kategorie zu erfinden, um die Idee zu vermeiden, diese Leute hätten etwas mit uns anderen zu tun. Nur haben sie das eben. Es ist ziemlich billig, auf diese Weise eine Distanz zwischen uns und denen kreieren zu wollen. Wenn es das Ziel ist, Verbrechen zu verhindern, muss man potenzielle Verbrecher als Menschen akzeptieren, ansonsten sind sie unerreichbare Wesen, und man kann Therapien oder andere Behandlungen vergessen. Denn solche gibt es nicht für «Monster», nur für Menschen.

Es ist nicht respektlos gegenüber Opfern, wenn man versucht, zu verstehen, was Täter antreibt. Verstehen heisst nicht: Verständnis. Schon gar nicht Akzeptanz. Verstehen bedeutet: Den Antrieb dieser Menschen zu durchschauen und zu begreifen, wie sie zu dem wurden, was sie sind. Erst wenn uns das gelingt, haben wir die nötigen Werkzeuge in der Hand, um vorzubeugen.

Die Kinder als Opfer der neuen «Woke-Kultur»

Indianer? Cowboy? Mexikaner? Wenn Ihr Kind so ausgestattet zur Fasnacht will, ist es ein kleines Monster. Unterbinden Sie diese Ungeheuerlichkeit bitte umgehend. Vielleicht besteht ja eine (geringe) Chance, dass Ihr Nachwuchs doch noch ein wertvoller Mensch wird.

«Kulturelle Aneignung» heisst der Kunstbegriff, der aktuell schwer im Trend liegt. Will heissen: Irgendwelche Leute, die mit Kultur XY überhaupt nichts zu schaffen haben, übernehmen frecherweise Versatzstücke aus dieser Kultur. Ich versuche gerade, ein Beispiel zu finden, in dem diese Praxis so richtig, richtig empörend ist. Mal sehen. Also, ein Lokal mit südamerikanischen Spezialitäten heuert einen Innerschweizer an, der sich einen Schnauz anklebt und einem Sombrero überstülpt und vor dem Lokal lateinamerikanische Melodien trällert?

Ja, klingt wirklich brandgefährlich. Die Welt geht gleich unter.

Aber so weit müssen wir ja gar nicht gehen. Die Fasnacht reicht. Die ist des Teufels. Heerscharen von Kindern betreiben «kulturelle Aneignung», indem sie sich verkleiden. Es ist ja wirklich total unverständlich, dass sich ein Kind aus dem Thurgau nicht einfach als Basler oder Zürcher verkleidet, sondern als Winnetou, Old Shatterhand oder chinesischer Reisbauer an die Fasnacht geht. Wer entsprechende Fasnachtskostüme verkaufe, handle «rassistisch», befanden die Zeitungen des Verlags CH Media.

Ja. Natürlich. Denn der Sinn einer Verkleidung an der Fasnacht kann sicher nicht darin liegen, sich ein Kostüm auszusuchen, das in einer anderen Kultur verwurzelt ist. Frechheit. Warum denn nicht als «Wilhelm Tell» oder als Schweizer Bergbauer oder als Matterhorn am Umzug teilnehmen? Das wäre politisch korrekt, weil man sich dann an der eigenen Kultur bedient und nicht am Erbe der unterdrückten amerikanischen Ureinwohner oder so.

Ich möchte bitte einen Tag lang nur die Probleme der Leute haben, die aus so etwas ein Problem machen. Es ginge mir danach wesentlich besser. Wobei die Leute, die empört «Rassismus!» schreien, ja nie Direktbetroffene sind. Hat bei Ihnen zuhause jemals ein amerikanischer Ureinwohner oder ein Inuit (früher als «Eskimo» bekannt) geklingelt, weil er es ganz furchtbar findet, dass ihr Kind «kulturelle Aneignung» betrieben hat? Nein, dafür gibt es Stellvertreter. Die kommen meistens aus linksgrün regierten Städten und suchen den lieben langen Tag nach Themen, über die man sich aufregen könnte. Schönes Hobby.

Die Welt spinnt. Das habe ich schon oft geschrieben, aber es wird mit jedem Tag, der vergeht, offensichtlicher.

An der Fasnacht verkleidet man sich. Man wird für wenige Tage zu jemand anderem. Zum Cowboy. Zum Indianer. Zum Mexikaner. Zum Asiaten. Was auch immer. Der Witz liegt ja gerade darin, dass man sich in etwas hüllt, das mit der eigenen kulturellen Identität nichts zu tun hat. Und das soll übergriffig sein? Verletzend für die wahren Träger dieser Kultur?

Ich stelle mir gerade vor, wie sich jemand in Tokio als Schweizer verkleidet. Keine Ahnung, wie das aussehen würde. Vielleicht ein Sennenchutteli und einen grossen Laib Käse in der Hand? Eine Schokolade in der anderen Hand? Oh mein Gott, das schmerzt! Da eignet sich irgendein Japaner MEINE Kultur an! Gohts no!

In Tat und Wahrheit ist den Leuten, die sich da empört ins Zeug legen und «Rassismus!» schreien, das Schicksal der angeblich Betroffenen völlig egal. Es geht nur darum, sich selbst als besseren Menschen zu fühlen. Als moralisch überlegen. Vermutlich hat die Kunstfigur «Winnetou» von Karl May mehr zum Ansehen der amerikanischen Urbevölkerung getan als die ganze «Woke»-Bewegung. May hat Stereotypen geschaffen, klar, wie jeder Autor, aber immerhin positive. Wer bitte mag Winnetou denn nicht, wer hat nicht geweint, als er starb? Wüsste irgendein Kind in Europa ohne Winnetou überhaupt, dass es amerikanische Ureinwohner gab?

Wenn man ein sinnentleertes Leben führt und sich selbst eine Bedeutung aufbauen muss, indem er oder sie für irgendjemand anderen «kämpfen» will, der nicht einmal darum gebeten hat: Bitte sehr. Aber dann lasst doch bitte wenigstens die Kinder in Ruhe Fasnacht begehen. Verkleidet. So, wie sie es möchten. Nein, diese Kinder werden deshalb nicht rassistisch. Sie gehen einfach zur Fasnacht in diesem Aufzug, lieber Himmel, mehr nicht!

Ist es eigentlich auch «kulturelle Aneignung», wenn ein Knabe als Mädchen zur Fasnacht geht? Der bedient sich einfach beim anderen Geschlecht! Wobei, Moment, es gibt ja gar keine eindeutigen Geschlechter mehr, also kann man auch nichts falsch machen. Jeder kann das sein, was er gerade sein will. Ausser natürlich Indianer. Da hört der Spass auf.

Manchmal bedauere ich wirklich, Kinder in diese Welt gesetzt zu haben. In eine Welt, die von Verrückten unterwandert ist, die auf Twitter so laut werden dürfen, dass wir anderen permanent das Gefühl haben, Schwerverbrecher zu sein. Nur weil ein Kind spielerisch für einige Tage lang einen Indianer spielt.

Menschen, die das anprangern, sind nicht die «Guten». Es sind Leute, die verzweifelt als die «Guten» wahrgenommen werden möchten. Für solche Fälle gibt es Psychotherapeuten. Man muss nicht die ganze Gesellschaft die Zeche zahlen lassen für die eigenen persönlichen Defizite.

Trucker aller Länder, vereinigt euch…

In Kanada geschieht Bemerkenswertes. In unseren Breitengraden mochten die Medien aber nicht so richtig berichten über den Aufstand der Truckerfahrer, der nun wirklich nicht zu übersehen war. Schlagzeilen gibt es erst, wenn die Regierung durchgreifen will.

Kanada gilt als eine Art vernünftiges Amerika. Während in den USA eigentlich immer in irgendeiner Weise gerade ein Ausnahmezustand gilt, lebt man in Kanada friedlich und gemeinschaftlich vor sich hin. Corona hat diesen Unterschied einigermassen verwedelt. Auch die kanadische Regierung stürzte sich kopfüber in die allgemeine Hysterie und machte aus dem beliebten Auswanderungsland eine Art Knast.

Das wollte sich, sehr symbolträchtig, vor allem eine Gruppe von Leuten nicht länger bieten lassen, die für ihre Freiheitsliebe bekannt sind: Die Fernfahrer. Tausende Tracks haben sich in den vergangenen Tagen aus Richtung Westen Richtung Osten bewegt, von Alberta nach Quebec City. Dort wollen sie Präsenz markieren, um gegen die Einschränkungen, die dem Schutz vor Covid-19 dienen sollen, zu protestieren. Das Ganze mit vielen schönen Zwischenstopps. Im Moment geht vor allem in Ottawa die Post ab. Die Trucker sind gekommen, um zu bleiben, es war keine kurze Durchfahrt. Erst wenn die Massnahmen beendet seien, werde man die Strassen zum Parlament wieder frei machen, liessen die rollenden Demonstranten vermelden.

In Kanada selbst ist die Sache nicht zu übersehen, und wer mehr darüber erfahren wollte, fand jederzeit Bilder und Videos der Aktion. Dazu musste man aber ein kleines bisschen suchen. Leserinnen und Lesern in der Schweiz wurden die Informationen jedenfalls nicht einfach von selbst in den Newstopf gespült. Wie so oft zensierten sich die Medien gewissermassen selbst. Sobald Protestformen eine gewisse Dimension erreichen, müssen sie ausgeblendet werden. Es könnte hierzulande ja noch jemand getriggert werden.

Im Zentrum der Kritik der Trucker steht Justin Trudeau, Premierminister von Kanada. Er dreht wie viele seiner Amtskollegen rund um den Globus seit langem ziemlich am Rad. Es hilft natürlich nicht, dass er auch ausserhalb der Coronathematik nicht unbedingt wie eine Idealbesetzung wirkt. Aber immerhin hat er dafür gesorgt, dass der Truck-Konvoi nun auch bei uns vermehrt Thema ist. Weil er hart durchgreifen will. Der Protest an sich sollte totgeschwiegen werden, aber nun, da Trudeau den harten Hund spielt, würdigen auch unsere Medien die Angelegenheit. Er fordert Mehr Polizei, er will durchgreifen gegen die Blockierer und so weiter: Das kann man natürlich melden. Die totale Vernunft des Beschützers der kanadischen Volksgesundheit gegen diese bösen Lastwagenfahrer, die ja keine Ahnung haben gewissermassen.

Dort, wo nun berichtet wird, kommt wieder mal die gute alte Diffamierung zum Zug. Der deutsche «Tagesspiegel» nennt die Trucker «Querlenker». Was für ein wunderbares Wortspiel. Da hat der zuständige Blattmacher sicher selbst vor dem Bildschirm wild gekichert. So einfach macht man aus einer Aktion, an der sich Menschen aus gutem Grund beteiligen, lächerlich machen. Queer ist gut, quer ist böse. Man muss die Argumente nicht hinterfragen, die Motivation nicht beleuchten. Journalisten in dieser Zeit stecken ihre Energie lieber in die Kreation von Begriffen, die eine umgehende Schubladisierung ermöglichen. Und den Lesern das Denken abnehmen. Querlenker? Deppen. Weg damit. Schon wieder eine inhaltliche Auseinandersetzung erspart.

Wie bequem.

Juhu, endlich wieder ein «Skandal»

Zwei Professorinnen unterhalten sich nach einer Onlinevorlesung noch privat. Die Aufzeichnung läuft aber weiter, das Resultat wird öffentlich. Der Aufschrei ist gross, weil die beiden Damen nicht nur Nettes über die Studentenschaft gesagt haben. Gähn.

Wenn es einen Skandal gibt, dann den, dass die Professorinnen die Technik ganz offensichtlich nicht im Griff haben. Eine Onlinevorlesung wird natürlich aufgezeichnet für alle, die nicht dabei waren, das Ergebnis ist eine Wissensdatenbank. Mit dem Tratsch loszulegen, während die Kamera noch läuft: Ja, das ist peinlich. Passiert ist das Ganze übrigens an der Universität St.Gallen.

Ja, die Technik war der Klumpfuss. Und natürlich ist es etwas peinlich, sich bei einem als privat geplanten Gespräch zuhören zu lassen. Aber der ganze Rest? Der läuft unter «alles nur menschlich».

Nach jeder Sitzung, nach jedem Teamtreffen, nach jedem Anlass, bei dem mehrere Leute zusammenkommen, gibt es danach bilateral oder unter mehreren Leuten eine Auswertung der anderen Art: Wer hat sich total daneben benommen, wer hatte keinen blassen Schimmer vom Thema, wer ist eigentlich sowieso ganz unausstehlich? Wenn wir auf telepathische Weise laufend wüssten, wie irgendwo gerade über uns gesprochen wird, würden wir vermutlich alle tot umfallen. Der einzige Trost ist, dass wir das selbst auch mit anderen machen.

Nun konnte man das mal aus erster Hand mitverfolgen, doof gelaufen, aber eben: Passieren tut es sowieso. Die allgemeine Entrüstung richtet sich nicht auf die Tatsache, dass die Kamera lief, sondern dass die Dozentinnen Böse Dinge sagten. Reichlich naiv. Das hätten sie auch ohne Kamera getan.

Aber die Professorinnen hatten Pech. Sie haben sich in erster Linie über Studentinnen ausgelassen und deren Arbeitsweise negativ kommentiert. Es ging also um – Frauen. Und damit ist es automatisch ein Skandal. Zwei Frauen, die sich über Frauen das Maul zerreissen? Wie unsolidarisch. Dabei müssten die doch alle zusammenhalten gegen die schreckliche Dominanz der Männer, vor allem der alten und weissen.

Die Ertappten haben selbst nicht viel getan, sie haben einfach das getriggert, was bei der entsetzten Zuhörerinnenschaft tief verwurzelt ist. Sie haben deren Erwartungen nicht erfüllt. Hätten sie sich abfällig über Studenten, also Männer, ausgelassen, dann wäre alles halb so wild gewesen. Mit Garantie.

Vielleicht, aber das darf man natürlich kaum aussprechen, war das, was die Professorinnen gesagt haben, sogar begründet. Vielleicht war es eine kurze Analyse effektiver Probleme. Vielleicht stimmte ihre Einschätzung der Studentinnen sogar. Ich habe keine Ahnung, woher auch? Der Punkt ist aber, dass das kein Thema ist. Man darf einfach nicht darüber sprechen.

Man könnte es auch anders sehen. Fast niemand sagt einem heutzutage die Wahrheit direkt ins Gesicht, wir sind ja alle zu Pflänzchen geworden, die immer gleich beleidigt oder empört sind. Eine versehentlich mitlaufende Kamera bietet also die Chance, sich Gedanken zu machen. Kamen die Professorinnen aus dem Nichts zur gemeinsamen Auffassung, dass die Studenten interessierter erschienen und ihnen die Studentinnen «verloren» vorkamen beim behandelten Thema? Oder entsprach es der Realität, und die Panne ist ein Weckruf, sich künftig bei Vorlesungen stärker zu engagieren?

Spielt alles keine Rolle, denn: Die Frauensolidarität wurde gebrochen. Nur das zählt.

«Schreib!»: Jetzt vorbestellen

Noch rechtzeitig vor Weihnachten wird mein neues Buch «Schreib!» erscheinen. Sie können es bereits vorbestellen.

Auf 264 Seiten erzähle ich in «Schreib!» aus meinen 30 Jahren als Journalist, Buch- und Drehbuchautor und Filmemacher. Parallel dazu gibt es Einblicke in meine Technik und in das, was ich für essentiell halte für jeden, der selbst schreiben will. Nicht im Sinn einer trockenen Anleitung, sondern praxisnah. Ich glaube nicht daran, dass man Bestseller nach einer fixen Technik anfertigen kann. Es geht darum, überhaupt den Mut zu fassen, zu schreiben. Denn Geschichten sind in uns allen. Was uns daran hindert, ihnen Raum zu geben, ist oft eine falsche Zurückhaltung.

«Schreib!» ist im Sommer 2021 entstanden, als ich in unserem Ferienhaus in Wallis sass, verzweifelt schreiben wollte, aber das Wort «Corona» nicht mehr hören konnte. Deshalb habe ich die Flucht in die Vergangenheit angetreten. Ohne behaupten zu wollen, meine berufliche Lebensgeschichte sei einzigartig, wurde mir beim Schreiben doch bewusst, dass es ein spannender Einblick in eine Branche werden kann, die die meisten nur vom Hörensagen kennen. Wie entsteht eine Story beim «Blick», was lief ab bei den ersten Gehversuchen der privaten Schweizer TV-Stationen, wie laufen Dreharbeiten bei einem Kinofilm mit bekannten Schweizer Schauspielern und Laien?

Das und mehr erzähle ich hier, verbunden mit einem Einblick in meine persönliche Arbeitsweise. Wenn es eine unterhaltsame Lektüre ist: Mission erfüllt. Wenn es Sie oder Menschen, die Sie kennen, dazu verführt, das Abenteuer selbst zu wagen: Umso besser.

Das Buch ist derzeit in Produktion und sollte vor Weihnachten auslieferbar sein, bestellbar aktuell direkt beim Verlag. Der Verkaufspreis liegt um die 20 Franken plus Porto. Später wird «Schreib!» auch in ausgesuchten Läden erhätlich sein.

Wer vorbestellen mag: E-Mail an den Verlag unter info@qultur.ch mit Angabe der Adresse reicht.

Und dann kam der Schnee. Und das Feuer.

Ich weiss nicht, wie es bei Ihnen aussieht, aber bei uns im tiefen Osten liegt Schnee. Er scheint gekommen, um vorerst zu bleiben. So ist es auch mit anderen Dingen. Aber der Schnee wird wenigstens irgendwann wieder verschwinden. Anderes nicht.

Er hat Ruhe gebracht, der Schnee. Weiss, friedlich, in sich ruhend. Die Schritte sind gedämpft, auf den Strassen sind etwas weniger Autos unterwegs. Ich mag Schnee nicht besonders, weil ich kein Wintersportler bin und dem Schneeschaufeln nichts abgewinnen kann. Aber am Sonntagabend habe ich den tänzelnden Flocken gern zugesehen. Es war ein Schauspiel, das von allem anderen unberührt blieb. Ein Stück Realität fernab der anderen Realität.

Mitten in der Nacht wurde ich von Lärm geweckt, den ich nicht zuordnen konnte. Ich ging ans Küchenfenster und sah, dass der Dachstock des Hauses gegenüber in Vollbrand stand. Es ist erstaunlich, wie etwas, das vor den eigenen Augen stattfindet, gleichzeitig völlig real und doch surreal wirken kann. Ich sah die Flammen, die langsam von der Wohnung aus das Dachgebälk erfassten. Die Feuerwehr versuchte, das Feuer unter Kontrolle zu bringen, und die Schneeflocken tanzten dazu. Ich weiss nicht, wie lange ich dort gestanden und das Schauspiel beobachtet habe: Zwei Naturkräfte, zwei Gegensätze, gleichzeitig am selben Ort. Und der Mensch, der versucht, es zu richten.

Die Natur, denke ich am nächsten Morgen, während ich bei einer Tasse Kaffee das übel zugerichtete Haus betrachte, ist wenigstens unberechenbar. Genau das macht uns Angst, aber ist Berechenbarkeit wirklich besser? An diesem Sonntag ist in ganz anderem Zusammenhang das Berechenbare eingetroffen, aber es voraussehen zu können, hat ihm den Schrecken nicht genommen. Wenn die Natur wütet, unberechenbar und vorhersehbar, kann man sich immerhin damit trösten: Es ist Schicksal. Wenn unser Schicksal aber bewusst gesteuert wird, wenn das Schicksal wie eine lange Strasse ist mit unendlich vielen Möglichkeiten, abzubiegen oder wenigstens eine Rast am Strassenrand einzulegen und das einfach niemand tun will und wir stattdessen munter auf eine Klippe zusteuern, ist das viel schwerer zu ertragen.

Das Feuer war eine Einladung dazu, alles zu relativieren. Da hat jemand sein Dach über dem Kopf verloren. Was kümmert diesen Menschen, vielleicht ist es auch eine Familie, das, was an diesem Sonntag sonst noch geschehen ist? Für die Betroffenen hat es die Dinge in eine andere Relation gebracht. Nicht, dass es ihnen ein Trost sein kann. Aber für mich als Betrachter wäre es eine Steilvorlage. Ich könnte es als Zeichen sehen: Nicht alles so ernst nehmen, erkennen, dass es Schlimmeres gibt. Das ist ein Schutzwall, den wir gerne aufbauen, wenn wir nicht mehr weiter wissen. Es könnte ja noch schlimmer sein, sagen wir dann.

Das kann es immer. Nur scheint es mir feige, mich mit dem Schicksal eines mir unbekannten Menschen zu trösten. Und ich möchte mich eigentlich auch nicht von der Poesie tänzelnder Schneeflocken beruhigen lassen. Das heisst: Doch, ich möchte schon. Es würde sich gut anfühlen. Ich hätte es bitter nötig. Mich verzaubern lassen von dem, was eben einfach geschieht statt zu leiden unter dem, was bewusst herbeigeführt wird. Aber es fühlt sich an wie ein innerer Rückzug. Die Naturkräfte als Beleg dafür nehmen, dass irgendwo eine höhere Macht sitzt, gegen die unser irdisches Treiben ohnehin ein schlechter Witz ist? Das kann ich mir nicht leisten, solange ich auf dieser Erde lebe. Wobei mir «leben» derzeit ein ziemlich grosses Wort dafür scheint.

Ich fahre ins Büro. Schnee liegt auch in der Innenstadt. Ein perfektes Timing für den Weihnachtsmarkt, der dieses Jahr hinter hohen Metallzäunen und mit Sicherheitspersonal vor einem schmalen Eingang stattfindet. Ich bewundere die Leute, die Adventsgefühle entwickeln und denen es keine Rolle spielt, dass sie ihre «Ungefährlichkeit» belegen müssen, um einen Glühwein zu geniessen. Mir fällt auf, dass ich schon einmal an diesem Punkt war: Ein leiser Neid gegenüber denen, die Gleichgültigkeit anknipsen können wie einen Lichtschalter. Vielleicht müssen sie ja nicht einmal einen Schalter betätigen, vielleicht ist sie einfach dort. Wem wirklich alles egal ist, der hat keine Zweifel, keine Ängste, keine Schuldgefühle. Der braucht kein Bier, um einfach mal wieder für ein paar Minuten zu vergessen, was ist.

In wenigen Wochen werden die Tage wieder länger werden. Früher habe ich mir diesen Moment immer herbeigesehnt. Jetzt scheint mir die Dunkelheit wie ein wohliger Kokon, der alles ausblendet, was nicht stimmt, was schlicht falsch ist. Natürlich sind diese Dinge weiterhin da, aber versteckt hinter einer schwarzen Mauer. Es gibt wenig Grund, die Dinge so sehen zu wollen, wie sie sind. Dunkelheit ist in diesen Zeiten eine Gnade.

Das Feuer ist schon lange aus. Im Moment tänzeln auch keine Schneeflocken. Sie haben sich gesetzt. Sie sind da, irgendwann verschwinden sie wieder. Wie wir. Nur dass wir in der Zeit, in der wir da sind, etwas tun können. Wir müssen nicht ruhen. Wir müssen nicht untätig warten, bis wir von der Sonne verbrannt werden. Wir können dafür sorgen, dass die Nächsten eine Welt betreten, in der sie leben wollen. Leben können. Wenn wir uns, wie am Sonntag geschehen, bewusst dagegen entscheiden, eine solche Welt zu schaffen, nehmen wir unsere Verantwortung nicht wahr. Wir lassen die Dinge einfach geschehen.

Wie eine Schneeflocke.

Hass hat auf zwei Zeilen Platz

An dieser Stelle mal eine kleine persönliche Bilanz zu meiner Korrespondenz. Wichtigste Erkenntnis: Wer das mag, was ich schreibe, sagt das oft ausführlich und detailliert. Wer nicht meiner Meinung ist, dem reicht ein Zweizeiler. Was es schwierig macht, Argumente auszutauschen.

Zunächst: Ich kann mich nicht beklagen. Seit Beginn des ganzen Wahnsinns und meiner journalistischen Begleitung desselben habe ich mehrere tausend Rückmeldungen per E-Mail erhalten. Nicht mitgezählt sind Nachrichten auf anderen Kanälen wie Facebook oder via Telefon. Dazu muss man wissen, dass Journalisten in aller Regel nur Feedback erhalten, wenn sie jemandem auf den Schlips treten. Kein Mensch meldet sich normalerweise, um einen Text zu loben. Wir sind auch was das betrifft im Ausnahmezustand.

Denn 85 Prozent dieser Rückmeldungen sind positiver Natur. Menschen melden sich, um sich für einen Text zu bedanken, um zu sagen, dass sie das letzte Jahr nur dank solchen Texten überlebt haben (ich hoffe, das ist eine bildhafte Überzeichnung) oder einfach, um mich zum Weiterschreiben zu animieren. Es ist ein ziemlich neues Gefühl, so viele Reaktionen zu erhalten.

Natürlich sind nicht alle Mailschreiber voll der Begeisterung. Einige sogar ganz im Gegenteil.

Ich finde es durchaus in Ordnung, wenn man dem Autor eines Textes mitteilt, dass man nicht mit ihm übereinstimmt. Im Idealfall sagt man dann auch gleich, was denn mit dem Text nicht in Ordnung war. Wo lag ich falsch, welche Zahl ist daneben, wo liegt ein Gedankenfehler zugrunde? Damit würde ich mich durchaus gerne auseinandersetzen und mich dann auch mit dem Absender austauschen.

Nur gibt es das leider selten. «Selten etwas Dümmeres gelesen», steht da beispielsweise. Oder: «Sie sind ein Schwurbler.» Auch sehr beliebt: «Sie können schreiben, was Sie wollen, es wird dennoch ein Ja zur Abstimmung geben.»

Alle diese Beispiele sind übrigens sprachlich geschönt, die Absender schaffen es recht selten, ein oder zwei Sätze korrekt zu formulieren. Aber ich will hier nicht den «Grammar Nazi» spielen, wenn der Inhalt passt, kann man über Fallfehler hinwegsehen.

Nur: Welcher Inhalt bitte?

So gut wie nie erfahre ich, welcher Text das Wutmail ausgelöst hat. Was angesichts meiner Produktivität das Ganze ein bisschen erschwert. Geschweige denn erfahre ich, was im besagten Text denn so falsch war. Hin und wieder kommt etwas im Sinn von «Die Intensivstationen sind voll, und Sie schreiben so etwas????» (Fragezeichen sind schwer im Trend) Nein, sind sie nicht, aber irgendetwas sagt mir, dass es nichts nützt, wenn ich dem Absender den Link zu einer aktuellen Statistik schicke. Die Leute wollen das glauben, was man ihnen einpaukt, und mir glauben sie sowieso nichts. Selbst wenn ich nur den Hinweis auf eine BAG-Statistik versende. Vermutlich habe ich sogar diese gefälscht.

Wenn ich diese Reaktionen gebündelt anschaue, frage ich mich, mit welchem Recht Massnahmenkritiker als doofe Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt werden. Die Mails, die ich aus dem Ja-Lager zum Covid-19-Gesetz erhalte, lassen weder auf einen halbwegs durchschnittlichen Bildungsgrad noch auf die Fähigkeit, sich eine informierte Meinung zu bilden, schliessen. Es gibt natürlich vereinzelte Ausnahmen, ich hatte durchaus schon gute Debatten mit Kritikern. Aber in der Mehrzahl sind es ziemlich einzellige Anwürfe ohne Argumente, im besten Fall mit der Wiederholung von Schlagzeilen aus den Mainstreammedien. Es gibt beispielsweise einen Herrn, der mir etwa alle zwei Tage den neuesten Panikartikel von blick.ch weiterleitet. Als wenn ich den nicht aus beruflichen Gründen schon längst gesehen hätte. Glaubt der Mann ernsthaft, das würde mich umstimmen?

Was mich aber am meisten ärgert, und zwar an mir selbst: Ich habe es schon längst aufgegeben, die nette Post zu beantworten, weil es schlicht aussichtslos ist, es sind zu viele Mails. Wenn jemand Antwort bekommt, dann eher der Kritiker mit seinem dämlichen Zweizeiler. Einfach, weil es mich juckt, ihm oder ihr mitzuteilen, wie absurd es ist, jemandem, der gerade 6000 Zeichen ausgeführt hat, in zwei Zeilen zu schreiben, er sei doof – ohne ein handfestes Argument. Ich lasse diesen Leuten damit viel zu viel Ehre zukommen. Aber so ist es doch immer: Wir belohnen die Falschen im Leben.

Jedenfalls: Wer mir jemals geschrieben und keine Antwort erhalten hat, soll wissen, dass es kein böser Wille war. Schon gar nicht Arroganz. Ich schiebe buchstäblich tausende von Mails vor mir her, die einzige Alternative wäre, allen eine standardisierte Antwort zu senden. Und das ist auch eher unschön. Stattdessen schlage ich mich fallweise mit Leuten herum, die wirklich nichts zu sagen haben. Aber, und so viel Grösse muss sein, auch sie melden sich aus einem bestimmten Grund. Es sind wohl oft Leute, die systematisch in die Angst getrieben wurden, die alles glauben, was in der Flimmerkiste läuft oder auf Papier gedruckt wird. Ich verstehe durchaus, dass man dann finden kann: Ich will nichts anderes sehen/hören/lesen. So ein bisschen wie die drei Affen im berühmten Sujet. Ich will diese Leute weder verteufeln noch ihnen Böses wünschen. Ich denke nur: Wenn ich mir seit über 1,5 Jahren die Mühe gebe, Argumente zu sammeln, Zahlen und Fakten zu wälzen, Zusammenhänge herzustellen, Vergleiche zu machen, dann sollte man mehr zu bieten haben als den «Schwurbler»-Vorwurf, was auch immer das sein soll.

Aber es soll sich auch niemand Sorgen machen. Alle paar Wochen schreibt mir eine über 80-jährige Frau aus dem Thurgau, die alles verschlingt, was ich lese und bedankt sich dafür. Wenn sich die negativen Stimmen mal ballen, denke ich an diese Dame, die nur eines will: Normal leben. Falls ich in irgendeiner Weise dazu beitrage, dass sie daran glaubt, das werde irgendwann wieder möglich sein, habe ich mein Ziel erreicht. Ohne eines zu haben.

Fördert das Schweizer Filmschaffen! – Äh, welches Filmschaffen?

Wer auch immer sich das ausgedacht hat: Die Medikamentierung ist falsch eingestellt. Die «Lex Netflix» ist ein an Absurdität schwer zu überbietendes Ding. Man will uns mal wieder etwas aufzwingen, was gar keiner will.

Streamingdienste sollen ein paar Prozent ihrer Einnahmen abdrücken, um das Schweizer Filmwesen zu pushen (und würden diese Prozente natürlich an die Abonnenten überwälzen). Gleichzeitig müssten sie einen erklecklichen Teil ihres Angebots dem Schweizer Filmschaffen widmen und dieses möglichst prominent bei sich anpreisen. Das in etwa ist der Inhalt des umgangssprachlich «Lex Netflix» genannten Vorhabens der Politik.

Man könnte die Sache hier abkürzen und einfach feststellen: Es ist mit Sicherheit nicht die Sache des Staates, privaten Anbietern ihr Angebot vorzuschreiben und erst noch Geld von ihnen abzuführen, um eigene Bedürfnisse abzudecken. Das ist auf so vielen Ebenen falsch, dass man es für eine Erfindung der Schildbürger hält. Darüber hinaus gibt es aber auch noch ganz konkrete Gründe, warum das Schweizer Filmschaffen nicht auf diese spätsozialistische Weise «gefördert» werden sollte.

Ich bin ein Streamer. Ich habe seit Ewigkeiten kein lineares TV mehr geschaut. In meiner Kindheit war 20.15 Uhr eine Art heiliger Gral, aber heute gibt es keinen guten Grund mehr, mir von Programmverantwortlichen vorschreiben zu lassen, was und wann ich es sehen will. Rund um den Globus, und das ist das Verdienst der Streaminganbieter, gibt es derzeit unzählige fantastische TV-Produktionen, seien es Filme oder Serien, und ich kann mir für relativ wenig Geld aussuchen, wonach ich gerade Lust habe. Das hier ist das Jahr 2021, und da sollte es nicht anders sein.

Aber eben, der Protektionismus. Die doofen Schweizer stürzen sich auf Hollywood, ziehen sich perfekt gemachte spanische oder nordische Produktionen rein und lassen Schweizer Werke einfach links liegen – das kann es doch nicht sein!

Also sollen die Streamingdienste mindestens mal 4 Prozent von dem, was sie bei uns verdienen, an den Staat abdrücken und sich gleichzeitig verpflichten, das Schweizer Filmschaffen ins Schaufenster zu stellen, und das in geballter Weise. Das will die «Lex Netflix» erreichen. Kommt sie durch, gilt sie, und wenn sie nicht eingehalten wird, dann… ja, was denn dann eigentlich? Zieht man Netflix, Sky, Amazon Prime usw. den Stecker? Das möchte ich gerne sehen. Wirklich.

Ich habe auch mal einen Kinofilm gemacht, und ich bin stolz darauf. Ein weiterer wird bald zu sehen sein. Es ist schön, wenn wir nicht nur Filme konsumieren, sondern sie auch realisieren. Aber ein staatlich verordnetes Recht auf Streamingpräsenz, egal, wie gut oder schlecht der Streifen ist? Erfolgreiche Unternehmen sollen unser Filmschaffen alimentieren, ohne zu wissen, was rauskommt dabei?

Es gibt eine Art lauwarmen Streamingdienst namens «Play Suisse». Es käme mir am Feierabend nach einem harten Tag nicht in den Sinn, dort nach Unterhaltung zu suchen, weil ein Treffer reine Glückssache ist. Es gibt ganz einfach nicht genug Schweizer Produktionen, welche die ganze Welt elektrisieren, und auch für die eigene Bevölkerung reicht es selten. Daran ändern auch 4 Prozent der Streamingeinnahmen nichts. Die Dänen machen es uns vor, die Spanier, viele andere, sie werfen Serien auf den Markt, die man überall sehen will, wir aber schaffen es nicht. Haben die mehr Geld als wir? Kaum. Aber sie haben Ideen und sind mutig.

Die Schweizer Lösung heisst Zwang. Zwangsabgabe der Streaminganbieter, Quote beim Angebot. Dafür müssten Netflix und Co. dann vermutlich Produktionen rauswerfen, die wir wirklich sehen wollen. Was für eine absurde Form von Heimatschutz.

Es gibt einen Markt. Lanciert eine Serie, die man gesehen haben muss, und Netflix wird sich drauf stürzen. Die wollen ja gute Inhalte. Und sie wollen Geld verdienen. Die beiden Dinge lassen sich durchaus verbinden. Aber ganz bestimmt nicht mit Zwang. Daraus entsteht nie was Gutes.

Unser Problem ist, dass wir panische Angst vor Unterhaltung haben. Es muss immer eine Botschaft rein. Gesellschaftlich wertvoll, politisch korrekt. «Haus des Geldes» im Umfeld unserer Nationalbank: Das hätte doch niemand gefördert. Ist doch pädagogisch nicht wertvoll, wenn eine Bande von Kriminellen zu Helden wird. Lasst uns stattdessen ein Sozialdrama machen, das gesellschaftliche Missstände beleuchtet, und dafür werden die drei oder vier Schauspieler eingesetzt, die wir immer nehmen. Bloss nichts wagen? Das ist in aller Kürze der Schweizer Film.

Und dem will man nun mit einer Zwangsabgabe mehr Mittel zuführen und ihm gleichzeitig mit einem Zwang einen fixen Platz bei den Streaminganbietern verschaffen. Die Beamten des Bakom werden dann Tag für Tag kontrollieren, dass Netflix und Co. das machen, was unsere Demokratie beschlossen hat. Schönes neues TV.

Ein kleiner Tipp an die Leute, die auf diese Weise das Schweizer Filmschaffen fördern wollen: Finanziert einfach etwas, das die Streaminganbieter aus eigenem Antrieb zeigen WOLLEN, weil es funktioniert und ein Publikum findet. Dann sind wir endlich auf der Landkarte des internationalen Films, dann bringen auch Produzenten Geld, dann erfüllt sich eure Wunschquote von ganz allein.

Was gut ist, setzt sich durch früher oder später. Quoten sind nichts anderes als ein Mittel, um Sterbende noch eine Weile lang halbwegs am Leben zu erhalten.

Ein Comeback ohne eigenes Zutun

Joe Biden ist entzaubert, und das in Rekordzeit. Donald Trump ist im Aufwind, ohne etwas dafür zu tun – und nachdem man ihn schon lange abgeschrieben hatte. Das belegt vor allem eines: Wer X wählt, nur um Y loszuwerden, bekommt eben X, basta. Selbst wenn er nichts taugt.

Donald Trump ist Mr President, nach wie vor. Diesen Titel verliert man nicht nach seiner Amtszeit, ob man ordentlich abgetreten ist oder abgewählt wurde. Er bleibt einem lebenslang erhalten. Ansonsten ist Trump nichts mehr, jedenfalls offiziell. Er kann sich der Verbesserung seines Golf-Handicaps widmen.

Aber das dürfte ihm aktuell schwerfallen. Denn nach den Irrungen und Wirrungen seiner letzten Wochen im Amt und der Zeit direkt danach inklusive Sturm aufs Kapitol war er zwar vorübergehend zur Unperson geworden, und es schien klar, dass die Republikaner nun ohne ihn planen, Jetzt steht er wieder im Rampenlicht. Nicht durch eigenes Zutun, sondern weil den Wählerinnen und Wählern allmählich auffällt, dass sie einen Denkfehler gemacht haben: Beim Bestreben, das Alte loszuwerden, haben Sie das Neue nicht genau angeschaut.

Dieses «Neue» ist ziemlich angegraut. Bei allem Ehrfurcht vor dem Alter, und es gibt viele geistig fitte und bewegliche Leute jenseits der 80: Joe Biden wirkte schon im Wahlkampf reichlich desorientiert und gelegentlich wirr. Seine bisherige Politik räumt die Zweifel an seiner Leistungsfähigkeit nicht aus. Zwar tritt er nicht zielsicher in jedes Fettnäpfchen wie Trump, aber Handfestes lieferte Biden bisher nicht. Trump gab den USA immerhin ein Gesicht. Dieses gefiel nicht allen, vor allem dem Ausland nicht, was auch oft an der einseitigen Berichterstattung der hiesigen Medien lag. Aber wenigstens für einen Teil der Bevölkerung blieb Trump in seinen vier Jahren eine Identifikationsfigur, was Biden beim besten Willen nicht gelingt. Er wurde bisher nie mehr als der «Anti-Trump», und das ist einfach kein Programm. Beziehungsweise: Es wird erst zu einem, wenn sich politische Erfolge einstellen.

Diese Erfolge garnieren auf Bundesstaatenebene aber aktuell die Republikaner. Gleichzeitig zerfallen die Umfragewerte von Biden. Es fällt schwer, diese Entwicklungen völlig von der Person von Trump zu lösen, obwohl er in der Politlandschaft keine offizielle Rolle mehr spielt. Aktuell würde seine Partei wohl kaum verkünden, wieder auf den abgewählten Präsidenten zu setzen, aber Trump war schon immer gut darin, auf seine Chance zu lauern.

Joe Biden wurde nicht Kraft seiner Person zum Präsidenten, sondern weil sich nach vier Jahren Trump eine wachsende Zahl von Wählern offensichtlich mit der Situation nicht mehr besonders wohl fühlte. Realpolitisch vorwerfen konnte man Trump wenig, aber die dauernde Polarisierung rund um ihn wurde einigen wohl zu viel. Allerdings folgt auf jede Aktion eine Reaktion. Drum prüfe, wer sich für vier Jahre bindet: Wer Biden gewählt hat, um Trump loszuwerden, muss nun feststellen, dass sich das nicht unbedingt ausgezahlt hat.

Ob Trump wirklich vor einem politischen Comeback steht, ist offen. Die Hürde ist hoch. Sicher ist, dass seine Arbeit dank seinem Nachfolger nun einige Zeit nach der Abwahl anders bewertet wird als zuvor. Aus einem hartgesottenen Trump-Gegner wird deshalb noch kein flammender Anhänger. Aber entscheidend ist die nüchterne Mitte, die nun feststellt, dass nicht immer etwas Besseres nachkommt.

Was ein Blog kann. Und was er leider nicht schafft.

Ende Woche wird dieser Blog hier zwei Monate alt sein. Zeit für eine erste Bestandesaufnahme – quantitativ und qualitativ. Um es vorwegzunehmen: Ich bin durchaus glücklich mit meinem neuen Werkzeug. Voraussetzung dafür ist allerdings die richtige Erwartungshaltung. Denn was ich wirklich gern hätte, ist mit einem Blog nicht zu schaffen.

Für mich stand beim Aufsetzen des Blogs fest, dass ich ihn unabhängig von der Zahl der Abonnenten betreiben werde. Ganz nach dem Motto: Wer dabei ist, soll Leistung kriegen, er oder sie kann ja nichts dafür, wenn es zu wenige andere tun. Allerdings stand ich nie vor dem Problem, mir darüber Gedanken machen zu müssen, ich durfte mit einer anständigen Zahl Leser starten, und diese Zahl wächst seither kontinuierlich – und nur sehr, sehr wenige springen ab. Dafür vielen Dank.

Allerdings geht es in meinem Fall ja nicht darum, einen Kanal zu haben, auf dem ich das tun kann. Mit «Die Ostschweiz» und dem «Nebelspalter», für die ich schreibe, habe ich das ja. Meine heimliche Hoffnung war es, durch einen etwas anderen Zugang zur aktuellen Materie darüber hinaus neue Leute zu erreichen. Denn das ist, ob sie es zugeben oder nicht, der Wunsch aller Schreibenden: Etwas zu bewirken mit ihren Worten.

Was das angeht, war ich glücklicherweise ziemlich realistisch. Und deshalb nun auch nicht besonders enttäuscht über die Erkenntnis, dass ein Blog nichts ändern.

Derzeit bedienen fast alle Journalisten eine bestimmte «Blase», deren Meinung gesetzt ist und die diese bestätigt erhalten möchten. Das ist bei mir nicht anders. Die meisten Abonnenten hier sind Kritiker der aktuellen Coronapolitik und sind beigetreten, weil sie diese Haltung bei mir in anderen Medien bereits mitbekommen haben. Sie wollen also quasi mehr vom Selben. Was natürlich völlig in Ordnung ist. Die Idee, es könne gelingen, darüber hinaus Unentschlossene oder Verunsicherte zu erreichen, ist aber wohl reine Fiktion. Wir leben in Zeiten, in denen die Leute nicht einmal mehr etwas lesen, wenn es aus einer Quelle kommt, die sie irgendwann mal abgehakt haben. Entsprechend bleibt meine Blase eine Blase. Der einzige Trost: Der anderen Seite geht es nicht anders.

Ein schönes Beispiel dafür gab es jüngst auf LinkedIn. «Die Ostschweiz» hatte den Gastkommentar eines St.Galler Anwalts publiziert, in der dieser beklagte, dass Behörden, die Demonstrationen bewilligen, das sehr willkürlich tun und auf dem linken Auge blind sind. Der Autor verbreitete seinen Text auf LinkedIn, worauf ein kantonaler Politiker reagierte und sinngemäss schrieb, er könne die Argumente durchaus nachvollziehen, aber Texte, die in dieser Zeitung erschienen, nehme er grundsätzlich nicht ernst.

Also das alte Problem: Entscheidend ist nicht die Qualität des Arguments, sondern wer es ausspricht. Wenn der falsche Typ behauptet, 2 und 2 sei 4, ist es also plötzlich nicht mehr so? Oder wie muss ich das verstehen?

Richtig ist richtig, falsch ist falsch, und dann gibt es in der Mitte noch einen grossen Haufen Dinge, der sich interpretieren lässt. Aber nie kann ernsthaft die Quelle einer Information darüber entscheiden, ob diese korrekt ist oder nicht.

Sprich: Ich erreiche keine Leute, die aus irgendeinem Grund mal beschlossen haben, mir nicht über den Weg zu trauen. Die anderen hingegen erreiche mit so gut wie allem.

Es ist natürlich auch eine schöne Aufgabe, Menschen in dem zu bestätigen, was sie sowieso schon finden. Es ist sogar eine wichtige Aufgabe, gerade dann, wenn diesen Menschen eingetrichtert wird, sie seien total daneben. Aber es wäre doch schön, wenn sich mehr erreichen liesse.

Ich möchte deshalb künftig vermehrt neben Corona noch andere Themen ansprechen. In der Hoffnung, einen anderen Effekt zu erzielen: Meiner «Blase» den Weg zu ebnen zu ebenfalls wichtigen Fragen, die neben Corona derzeit untergehen. Da draussen läuft vieles seltsam, das tut es schon länger, aber im Schatten des Virus regt sich kaum mehr jemand auf darüber. Die ganze politische Korrektheit, die Empörungswelle, der Genderwahn, es gibt vieles, über das zu schreiben sich lohnt.

In diesem Sinn geht es im dritten Monat munter weiter, aber vielseitiger, mit einem breiteren Spektrum. In der Hoffnung, auch damit den Geschmack zu treffen.

Wer überprüft die Polizisten, die Polizisten überprüfen?

Der Ruf nach sogenannten «unabhängigen Faktencheckern», die den Lesern sagen, was sie glauben dürfen und was nicht, wird immer lauter. Mich erinnert das an eine meiner Lieblingsfiguren aus der Welt der Krimis.

Hieronymous Bosch, genannt Harry, ist er Protagonist einer Reihe von Romanen des US-Schriftstellers Michael Connelly. Inzwischen gibt es auch zahlreiche Film- und Serienadaptionen. Bosch ist ein Cop, aber noch mehr als das ist er ein Gerechtigkeitsfanatiker. Er greift zu unorthodoxen Methoden und hat deshalb immer wieder Probleme mit dem LAPD, seinem Arbeitgeber. Regelmässig wird seine Arbeit von internen Dienststellen untersucht, immer mal wieder wird er suspendiert.

Diese internen Dienststellen: Das ist eine Art «Polizei in der Polizei», also Beamte, die ihre eigenen Kollegen überprüfen. Das macht durchaus Sinn, wenn es um polizeiliche Gewalt oder Korruption geht. Harry Bosch hat aber eher den Verdacht, die Anstrengungen gegen ihn seien politisch gefärbt, er ist einfach unbequem. Und deshalb fragt er sich immer wieder das hier:

«Who polices the police who police the police?˚

Will heissen: Wer überprüft eigentlich die Arbeit der Leute, die meine eigene Arbeit überprüfen? Wer stellt sicher, dass sie sich an die Regeln halten, während sie kontrollieren, ob ich mich an die Regeln halte?

Und genau dieselbe Frage stellt sich bei den «Faktencheckern».

Im Schweizer «Jahrbuch der Qualität der Medien» in der Ausgabe 2021 wird gerade wieder der Ruf nach diesem Instrument laut. Die Autoren finden, man solle unabhängige Organisationen oder Webseiten schaffen, die Falschinformationen identifizieren und richtigstellen. Über die Zeitungen hinaus, die dieses Spielchen heute schon betreiben.

Fragen. Viele Fragen. Wer genau soll diese Organisationen oder Webseiten schaffen? Der Staat? Der dann also definiert, was richtig und was falsch ist? Das ist staatspolitisch so grundverkehrt, dass ich mir gar nicht vorstellen will, es sei so gemeint. Vor allem wäre es alles andere als «unabhängig». Aber unabhängig von wem eigentlich? Vom Staat sicher, aber natürlich auch von Geldgebern, weil die meistens Gegenleistungen wünschen. Wie finanziert man Faktenchecker, die weder vom Staat noch von Firmen bezahlt werden? Ach ja, klar, Stiftungen zum Beispiel. Aber Moment. Die werden ihrerseits ja auch irgendwie finanziert, von Spendern beispielsweise. Dahinter stehen auch Menschen mit Verbindungen. Und Abhängigkeiten.

Wer zur Hölle soll sich zur stets unabhängigen, völlig netzwerkfreien und damit total objektiven Wahrheitsinstanz aufschwingen können? Ich möchte gerne das Stelleninserat für eine solche Position sehen, das müsste sich in etwa so lesen:

Gesucht: Faktenchecker (m/w/d), unbezahlte Position, da wir kein Geld annehmen dürfen, muss die gesamte Wahrheit über alles kennen, darf weder Verwandte noch Freunde noch frühere Arbeitgeber haben, sollte seit Geburt in einem Keller leben.

Es gibt keine Menschen, die völlig unabhängig sind und keine eigene Position haben oder Vorlieben pflegen. Und wenn es sie gibt, dann leben sie irgendwo in einer Institution und sind nicht in der Lage, Faktenchecking zu betreiben.

Ich habe schon einige Male zum Thema geschrieben, die Grundkritik bleibt stets dieselbe. Man kann Fakten checken zum Thema Mathematik, weil 1 und 1 immer 2 ist. Man kann aber zumindest in Echtzeit kein Faktenchecking im Sinn einer unumstösslichen und einzigen Wahrheit betreiben bei komplexeren, vielschichtigeren Themen.

Nehmen wir das Thema Impfschäden. Wenn Faktenchecker sagen, dass es die so gut wie nie gibt und jede anderslautende Behauptung falsch ist, blenden sie aus, wie wenige Impfschäden von Ärzten gemeldet werden (viel Aufwand, kein Geld) und wie die politisch erwünschte Definition für einen Impfdurchbruch überhaupt aussieht. Die Faktenchecker nehmen also eine offizielle Statistik und «widerlegen» damit Meldungen darüber, dass es mehr Impfschäden gibt als rapportiert. Aktuell kann weder das eine noch das andere belegt werden, aber aus gutem Grund, das Thema ist völlig intransparent. Man kann nicht jeder Frage mit einer Statistik zu Leibe rücken, man muss sich auch fragen, auf welcher Basis die bewusste Statistik entstanden ist – und vor allem, welche Interessen derjenige vertritt, der die Statistik führt.

Damit ist das Faktenchecking im Grunde eine extrem unjournalistische Arbeit. Es ist Erbsenzählen, ohne einen Blick in die Küche zu werfen. Es ist das Ausblenden von Umständen, vor allem aber das Ausblenden von anderen Fakten, die reinspielen.

Und eben: Who polices the police who police the police? Wer überprüft die Motive der Faktenchecker, ihre Verbindungen, ihre Verbindlichkeiten? Faktenchecker sind eine Art Bundesgericht: Mehr geht nicht mehr, wenn das mal sagt, wie es ist, ist es vorbei. Die letzte Instanz. Das mag juristisch angehen, irgendwann muss ja mal Ende sein, aber hier sprechen wir nicht von abschliessenden Urteilen eines Falls, der zuvor jahrelang untersucht und protokolliert wurde, hier sprechen wir von Dingen im Fluss. Hier sprechen wir von handfesten Interessen, die jeder hat. Und nun mag man «Organisationen» installieren, die ein für alle Mal sagen, was richtig ist und was falsch?

Natürlich gibt es Fälle, in denen das möglich ist. Wenn einer behauptet, nach der Impfung wachse einem ein dritter Arm, dann kann man das in Ermangelung von dokumentierten Fällen gern als Fake news qualifizieren. Faktenchecker stürzen sich aber kaum je auf so eindeutige Fälle. Sie beurteilen auch hemmungslos Dinge, die sich Stand heute noch gar nicht beurteilen lassen. Und sie stützen sich dabei auf ihre eigenen Quellen, die sie Kraft der ihnen zugesprochenen Unfehlbarkeit auch gleich als unfehlbar erklären. Aber wer untersucht die Quellen, mit denen andere Quellen als falsch deklariert werden?

Wenn eine Zeitung das zum Zeitvertreib macht: Klar, wieso nicht, kann man ihnen schlecht verbieten. Wobei es ziemlich absurd ist, wenn sich Journalisten zum Faktenchecker anderer Medien machen. Aber solche Stellen in einer übergeordneten Weise schaffen? Wer soll diese denn schaffen, wer wählt das Personal aus? Sind das auch Leute, die bisher in einem Keller gelebt haben und null Interessenbindung haben?

Faktenchecking muss man nicht schaffen, das gab es schon immer. Es ist die Aufgabe der Medien, ohne dass man es so nennen muss. Wenn Leute von einem überlasteten Gesundheitssystem fabulieren und man als Zeitung Zahlen publiziert, die zeigen, dass das aktuell nicht der Fall ist, dann ist das ein Faktencheck. Aber dann kann eine andere Zeitung dieselben Zahlen anders interpretieren. Und der Leser sucht sich seine Wahrheit. Dass es darüber hinaus ein künstliches Gremium geben soll, das abschliessend definieren darf, was stimmt und was nicht und danach vermutlich jede anderslautende Behauptung in sozialen Medien gelöscht wird: Das hat nichts mit Journalismus, Information und Aufklärung zu tun.

Das ist die reine Manipulation.

Keine Probleme? Dann erfinde doch eins!

Es geht uns immer noch zu gut. Wir haben immer noch alle Zeit der Welt, uns Gedanken zu machen über Dinge, die kein Problem sind, bevor man sie zu einem macht. Ein aktuelles Beispiel, das für viele andere steht.

Achtsamkeit, ein grosses Bewusstsein für Ungerechtigkeiten, die Bereitschaft, Widerstand zu leisten: Das sind alles tolle Eigenschaften. Leider kann man es damit auch übertreiben. Wer den lieben langen Tag nichts anderes mehr tut, als mögliche Gründe für Empörung und Aktivismus zu suchen, macht das gesellschaftliche Engagement zum Selbstzweck. Es geht nicht mehr darum, eine «bessere Welt» zu kreieren, sondern darum, sich selbst gut zu fühlen, auf der richtigen Seite stehend.

Das neueste Beispiel ist der absurde Einsatz gegen ein Logo auf Leuchtstreifen von Kindergärtlern und Schülern.

Kurz zusammengefasst finden einige hyperkritische Eltern, die praktischen Leuchtstreifen, mit denen ihre Kinder auch bei Dämmerung im Strassenverkehr zu sehen sind, dürften nicht mehr länger mit dem TCS-Logo versehen sein. Sie versenden deshalb herzige Sticker, die man darüber kleben kann.

Ich habe nichts zu schaffen mit dem TCS, ich bin nicht mal Mitglied. Und offen gesagt habe ich keine Ahnung mehr, ob meine eigenen Kinder dieses Logo damals vor einigen Jahren auf ihrem Leuchtstreifen hatten. Darauf habe ich nun wirklich nicht geachtet. Ich frage mich eher, ob mein Alltag als Berufstätiger und Vater und Partner es mir erlauben würde, mir ernsthaft Gedanken über solche Dinge zu machen.

Der Kritikpunkt der ewig besorgten Eltern: Der TCS stehe nicht auf der Seite der Fussgänger, sondern der Autofahrer, er bekämpfe Tempo-30-Zonen und sei damit ein schlechter Werbeträger auf einem Streifen, der der Sicherheit der Kinder dienen soll.

Es klingt ein bisschen so, als wäre der TCS ein Verbund von Raser-Lobbyisten, die gezielt Jagd auf unschuldige Verkehrsteilnehmer machen.

Natürlich muss man einen Automobilverband nichts Tolles finden. Und klar vertritt er bestimmte Interessen. Aber die Empörung der Eltern über etwas, das übrigens seit Jahrzehnten so ist, speist sich wie so oft aus Fehlinterpretationen, entweder aus Unwissenheit oder aus Kalkül.

Tempo-30-Zonen sind auf dem Vormarsch. Früher galten sie in Wohnquartieren oder rund um sensible Bereiche wie Schulhäuser. Von dort aus dehnen sie sich allmählich, aber kontinuierlich aus. Sie ziehen Kreise, erstrecken sich immer weiter. In der Stadt Zürich sind sie mittlerweile sozusagen die Norm. Das kann man je nach Standpunkt gut oder schlecht finden, sicher ist, dass diese Zonen inzwischen nicht mehr einfach etwas mit dem Schutz des Langsamverkehrs zu tun haben. Sie sind ein Instrument, um Autofahren unattraktiver zu machen. Auch das darf man wieder gut oder schlecht finden. Aber es ist einfach eine Tatsache. Und es ist legitim, wenn sich Verbände dazu kritisch äussern.

Die verkürzte Formel, der TCS sei gegen Tempo-30-Zonen, ist jedenfalls Unsinn. Er gehört einfach zu den Interessengruppen, die die Entwicklung aufmerksam verfolgen und dann und wann nachfragen, ob etwas Sinn macht – und sich gegebenenfalls wehren.

Was das nun mit dem Leuchtstreifen zu tun hat? Ganz einfach: Die Kritik am Logo entzündet sich an einer angeblichen Haltung des TCS, die danach als Begründung dafür dient, dass er vom Streifen runter soll. Es werden nicht zuerst Fakten gesammelt, die Empörung ist immer schneller. Irgendwo eine Schlagzeile gesehen à la «TCS setzt sich gegen Tempo 30 im Gebiet XY ein», und schon ist das Feindbild gebastelt. Wenn dieses dann ausgerechnet auf einem Streifen prangt, den sich das arme, unschuldige Kind jeden Morgen überstreift, führt das bei übereifrigen Eltern zu Schnappatmung.

Der Leuchtstreifen tut seinen Dienst auch ohne TCS-Logo, es schadet nichts, wenn man ein Dino-Bildli darüber klebt. Aber die ganze Debatte ist Ausdruck für weit mehr. Leute melden sich aufgeregt bei der Schulbibliothek, weil «rassistische Bücher» wie «Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer» dort aufliegen oder immer noch Kasperli-Kassetten mit dem N-Wort ausgeliehen werden. Leute kontrollieren die Warenauslage bei Detaillisten, ob sie auf einem Produkt einen anstössigen Begriff finden und melden sich dann aufgeregt via Twitter oder eine dankbare Zeitung. Und so weiter und so fort.

Wir sind zu einer Gesellschaft von politisch Hochsensiblen geworden, aber das ist keine Qualität, Hochsensibilität ist inzwischen ja eine medizinische Diagnose. Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf Nebenschauplätze und erklären sie zu Hauptschauplätzen, damit die Wirkung grösser ist. Wir erliegen der Illusion, die Welt besser zu machen, indem wir sie «reinigen» von allem, was uns stört oder andere stören könnte.

Was dabei verloren geht, sind Augenmass und gesunder Menschenverstand. Davon gibt es viel zu wenig auf der Welt.

Der «geniale Vergleich» ist der dümmste Vergleich aller Zeiten

Jürgen Klopp ist eine Art Fussballmessias. Für einige Zeitungen ist er neuerdings auch ein Genie auf anderem Gebiet: Der Gesundheitsprävention. Dies dank einem Vergleich, den er gemacht hat und für den man ihn bejubelt. Obwohl es kaum je einen schlechteren gegeben hat.

Man darf nicht (zu viel) trinken, bevor man ins Auto sitzt. Dieses Gesetz schützt nicht in erster Linie den Betreffenden selbst, sondern die anderen Autofahrer, die man sonst gefährdet. Das, so findet Fussballtrainer Jürgen Klopp, sei exakt dasselbe wie die Coronaimpfung. Die mache man, um andere zu schützen. Wer sich nicht impfen lässt, verhalte sich hingegen wie ein betrunkener Verkehrsteilnehmer: Er gefährde andere.

Ein «genialer Vergleich» sei das, posaunt der «Blick».

Doofer geht immer, aber hier wirds schwierig: Das ist meine Interpretation.

Wer sich um jeden Preis von einem Mann, dessen Existenz aus einem Ball und einem rechteckigen Rasen besteht, die Welt erklären lassen will, kann das in diesem Artikel tun. Zuvor sollte man aber den gesunden Menschenverstand in den Keller stellen und die Tür verriegeln. Denn nein, der Vergleich ist nicht genial. Er ist eher falsch auf so vielen Ebenen, dass es schwierig ist, sie zu priorisieren.

Zunächst grundsätzlich: Der freie Entscheid, sich etwas zuzuführen, das unter bestimmten Voraussetzungen untersagt ist, also Alkohol vor der Autofahrt, ist etwas völlig anderes als der freie Entscheid, sich etwas nicht zuzuführen. Das ist ein so fundamentaler Unterschied, dass er selbst einem Fussballtrainer und «Blick»-Redaktoren auffallen müsste.

Die inhaltliche Ebene sieht nicht anders aus.

Ich bin gefährlich, wenn ich mein Auto nicht im Griff habe und dennoch auf die Strasse gehe. Alkohol vernebelt die Sinne und vermindert die Reaktionsfähigkeit. Das führt zur Gefahr für andere. Zu einer sehr realen. Gar keine Frage.

Das aber zu vergleichen mit Leuten, die sich nicht impfen lassen, ist grotesk. Einerseits, weil die Impfung, für die sich eine Mehrheit bereits entschieden hat, ja angeblich weitgehend schützen soll vor Ansteckung und Erkrankung. Zweitens, weil Geimpfte erwiesenermassen dennoch weiterhin nicht vor Ansteckung und Erkrankung schützt. Ja, das ist ein Widerspruch, aber den habe nicht ich zu verantworten, sondern die Leute hinter der Impfoffensive. Aber egal, welcher Teil des Widerspruchs stimmt, er widerlegt den «genialen Vergleich» sowieso und immer.

Nehmen wir die These, dass die Impfung so heilsbringend ist. Dann gilt das hier:

Während ich besoffen hinter dem Steuer alle möglichen Leute gefährde, Fussgänger, nüchterne Autofahrer, andere betrunkene Autofahrer, gefährde ich als Ungeimpfter niemanden mehr, als das ein Geimpfter tut. Jedenfalls niemanden, der sich nicht davor schützen könnte. Wer geimpft ist, muss mich nicht fürchten, wer nicht geimpft ist, hat sich dazu entschieden, mich nicht zu fürchten. Wenn man Klopps Vergleich heranziehen will und Ungeimpfte als betrunkene Autolenker definiert, sind sie allerhöchstens eine Gefahr für andere Ungeimpfte beziehungsweise andere betrunkene Autofahrer, die die Gefahr förmlich suchen.

Das alles ist zwar in sich schon grotesk, aber manchmal muss man auch doofe Spiele mitspielen.

Nimmt man den zweiten Teil des Widerspruchs, ist der Vergleich ebenso schief. Stimmt es nicht, dass Geimpfte das Virus nicht weitergeben (was wir wissen), kann man mit der Impfung – oder im bewussten Vergleich mit dem Verzicht auf Alkohol – sowieso nicht zum Heil eines anderen beitragen damit. Wie denn auch? Man wähnt sich nur in falscher Sicherheit.

Wenn es mit Jürgen Klopps schiefem Bild überhaupt einen Vergleich zu zimmern gibt, dann diesen. Geimpfte sind wie Autofahrer, die glauben, nüchtern zu sein und sich deshalb sehr selbstbewusst auf die Strasse begeben. Geraten sie in eine Kontrolle, wird das Messgerät tatsächlich keine Promille feststellen. Sie sind aber dennoch betrunken. Nahezu so betrunken wie Ungeimpfte. Man hat aber keine Handhabe, sie aus dem Verkehr zu ziehen, was sie eigentlich sogar gefährlicher macht als sichtbar Betrunkene.

Deshalb ist es ja so absurd, wenn Veranstalter wie die von Olma und Co. aktuell jubelnd berichten, dass es dank der Zertifikatspflicht in ihren Hallen keinerlei Einschränkungen mehr gibt, weder Distanz noch Maske. Schön und gut, aber die Illusion, die sie erzeugen, hält den Tatsachen nicht stand. Wenn eine Gefahr besteht, besteht sie auch bei ihnen. Beziehungsweise erst recht bei ihnen.

Dass Klopp überhaupt so etwas Beklopptes sagen konnte und dafür sogar noch Applaus erhält, ist aber nicht mal seine eigene Schuld. Denn die Tatsache, dass die Impfung nicht mal halb so viel zuwege bringt wie dauernd behauptet und uns die Sicherheit nur vorgaukelt, ist zwar kein Geheimnis, wird aber nur sehr marginal thematisiert. Ein Mann, der sich den ganzen Tag mit ballspielenden Millionären beschäftigt, kriegt wohl nur die Oberfläche von allem anderen mit. Das ist in Ordnung. Aber dann soll er doch wenigstens nicht so tun, als wüsste er Bescheid und sich zum Thema äussern.

Manchmal darf man nicht «aber…» sagen

Politiker und Medien berichten von zunehmenden Drohungen an ihre Adresse. Sie schliessen daraus eine Radikalisierung der Massnahmenkritiker. Das Problem daran ist, dass man dieser These kaum begegnen kann, ohne selbst in einer Täterecke gestellt zu werden.

Nein, die Kritiker der Coronamassnahmen sind nicht gewalttätig. Jede Woche findet irgendwo eine Kundgebung statt, und die Zahl irgendwelcher Übergriffe ist verschwindend klein. Meist können sie nicht mal klar jemandem zugeordnet werden. Es gibt viele glaubhafte Überlieferungen von «Agents provocateurs», die sich unter die Menge mischen und Ärger bereiten mit der Absicht, die Demonstranten schlecht dastehen zu lassen. Aber wenn das Rütteln an einem Metallzaun vor dem Bundeshaus (das auch ohne Zaun nie in Gefahr gewesen wäre) oder eine Flasche Shorley an der Kleidung einer Regierungsrätin schon als Olymp der Gewalt angeprangert werden, ist vermutlich eher Entspannung angesagt.

Dazu kommt, dass man dort, wo jemand tatsächlich die Nerven verliert, dringend über die Gründe dafür sprechen müsste. Das aber wird nicht toleriert. Es gilt als Entschuldigung von Gewalt. Eine Gesellschaft muss sich aber mit den Ursachen solcher Phänomene auseinandersetzen.

Wer andeutet, dass ein Akt der Gewalt – sprechen wir der Einfachheit halber einfach mal davon, auch wenn der Begriff völlig überhöht ist – durchaus durch die Situation provoziert sein kann, macht sich in den Augen vieler mit den «Tätern» gemein. Aber schauen wir uns doch an, was in den vergangenen Monaten geschehen ist. Leute sind einsam gestorben, ihre Familien konnten aufgrund von Schutzmassnahmen nur aus der Distanz zusehen. Menschen, deren soziales Netz beschränkt ist, haben dieses durch Einschränkungen ganz verloren. Die Kinder- und Jugendpsychiatrien meldeten hohe Zuläufe. Unternehmer verloren die Existenz, während sie sich durch einen Bürokratiedschungel schlugen. Ein grosser Teil der Bevölkerung wurde faktisch ausgeschlossen aus dem gesellschaftlichen Leben. Geimpfte begegnen Ungeimpften mit Hass, weil diese angeblich die Treiber einer Pandemie sein. Und so weiter.

Es hat in der Geschichte schon weit weniger gebraucht, um Menschen ausrasten zu lassen. Und das, pardon für den Stammtischspruch, muss man auch sagen dürfen. Denn wer Gewalt befürchtet, muss sich mit den Ursachen der Gewalt auseinandersetzen.

Wenn in Deutschland jemand in einem Tankstellenshop einen anderen erschiesst und sich danach als Massnahmenkritiker zu erkennen gibt, hat nicht ein Massnahmenkritiker einen Menschen getötet. Es handelt sich um einen Menschen, der mit offensichtlich grossen persönlichen Problemen kämpft und mit Garantie auch mit einer Vorgeschichte, die weit über Corona hinaus geht. Möglich, dass ihn die letzten Monate über den Rand gedrängt haben, dass die Massnahmen der Funke waren. Die Zündschnur gab es aber schon lange. Daraus eine allgemeine Gewaltbereitschaft von Massnahmenkritikern zu zimmern, ist unzulässig und manipulativ. Es gab noch nie so gewaltlose, von Friedlichkeit geprägte Kundgebungen wie die gegen die Coronapolitik. Es gab auch noch nie Demonstrationen, die so viele «Neulinge» anzogen, Leute, die früher nie auf die Idee gekommen wären, auf die Strasse zu gehen.

Während man am 1. Mai wüten kann, wie man will und dabei auf die polizeiliche Strategie der «Deeskalation» setzen darf, markieren die Ordnungshüter beim Thema eine Präsenz, die an einen Kriegsschauplatz erinnert, sowohl quantitativ wie qualitativ. In einer Montur, die wirkt, als würde gleich der Einfall der Hunnen drohen, umzingeln Polizisten Leute, die ihre Rechte wahrnehmen. Das ist Provokation pur. Aber auch hier gilt: Dieses «aber…» ist für viele nicht zulässig. Man soll gar nicht darüber nachdenken dürfen, was der Auslöser von was sein könnte.

Diese Verweigerung der Suche nach den Ursprüngen passt in die Coronazeit. Wir sind längst an dem Punkt angelangt, an dem schon das schiere Nachdenken als Sakrileg gilt. Ich wage die Aussage: Würden die Behörden Kundgebungen gewissermassen mit offenen Armen empfangen als das, was sie sind, nämlich legitime Proteste, dann hätten sie keine Sekunde mit irgendwelcher Gewalt zu rechnen. Wer aber vom Bewilligungsverfahren bis zur Handhabung vor Ort mit jeder Faser ausstrahlt, wie zuwider ihm das ist, was gerade geschieht, provoziert eine Reaktion. Ohne jedes «aber».

Warum lesen, wenn Sie schreiben könnten?

Man verzeihe mir den Zwischenruf in eigener Sache, der natürlich auch als billige Werbung abgetan werden kann. Aber es geht mir um ein Herzensprojekt: Mein nächstes Buch. Es wird gegen Ende des Jahres erscheinen. Die Mission: Möglichst viele Menschen zum Schreiben zu bringen.

«Schreib. – Eine Aufforderung». So heisst das Buch, das ich in diesem Sommer geschrieben habe und dank einem sehr flexiblen Verlag schon bald erscheinen wird. Der Titel ist Programm: Ich möchte Menschen dazu inspirieren, selbst zu schreiben. Denn der Wunsch danach ist bei vielen verankert, nur zögern die meisten, den ersten Schritt zu machen. Schreiben scheint so manchen etwas zu sein, das andere tun, selbst liest man dann eben einfach. Dabei gibt es nichts Schöneres, als selbst Geschichten zu erfinden oder Erlebtes in geeigneter Form zu verewigen.

«Schreib» ist keine Anleitung in Form eines Volkshochschulkurses. Es richtet sich an Menschen, die das grundsätzliche Instrumentarium besitzen – also im Grunde die meisten. Anhand vieler Anekdoten aus 30 Jahren als Journalist, Buch- und Drehbuchautor versuche ich, mich dem Handwerk auf pragmatische Weise zu nähern. Wie entsteht eine Figur, wie baue ich einen Konflikt und daraus einen Handlungsstrang auf, was tue ich bei einer Schreibblockade und so weiter. Mein Buch ist keine vergeistigte Lektüre, die ein Handwerk überhöht, sondern im Gegenteil ein «Angstnehmer».

Exakter Umfang und Verkaufspreis sind aktuell noch nicht bekannt. Es sollte aber eher auf «dick statt teuer» rauslaufen. Wer bereits vorbestellen will, kann das direkt bei mir tun, ich übermittle die Angaben dann dem Verlag.

Corona spielt in diesem Buch übrigens so gut wie keine Rolle. Ganz bewusst. Die Auszeit mit einem ganz anderen Stoff hat mir ausgesprochen gut getan.

Ein ganz und gar persönlicher Zwischenruf

Man muss sich im Leben entscheiden, ob man etwas schweigend mitträgt oder laut wird. Generell oder fallweise. Viele glauben, das Schweigen sei der einfachere Weg. Aber ist das wirklich so? Auf lange Sicht? Und was tut das Schweigen mit einem?

Es ist nicht besonders lustig im Jahr 2021, ein Journalist zu sein, der die Massnahmen gegen das Coronavirus für unverhältnismässig, falsch und sinnlos hält. Es ist nicht lustig, weil man ziemlich alleine ist damit. Ich kann mich an kein gesellschaftlich oder politisch relevantes Thema erinnern, bei dem sich die Medien so einig waren wie in diesem Fall. Nicht selten übernahm die eine oder andere Zeitung sogar aus Prinzip die Gegenthese, nur weil die verhasste Konkurrenz eine andere Position hatte. Nun hat man das Gefühl, jeden Montag um 9 Uhr tanzen die Verleger und Chefredaktoren aller grossen Verlage bei Bundesrat Berset im Büro an und nehmen die Direktiven für die anstehende Woche entgegen.

Es ist nicht lustig, aber es ist nötig. Unsere Zeitung «Die Ostschweiz» hat ihre Besucherzahlen innerhalb eines Jahres verzehnfacht. Nicht, weil wir irgendwelche markigen Verschwörungstheorien verbreiten, sondern einfach, weil wir den Leuten eine Stimme geben, die überall sonst ausgesperrt werden. Das reicht im Jahr 2021 bereits, um eine Sonderstellung einzunehmen und im Monat September voraussichtlich gegen 1,5 Millionen einzelne Leser anzuziehen. Was genau würden diese Leute machen, wenn der Einheitsbrei komplett wäre? Wer wäre ihr Sprachrohr?

Die treue Gefolgschaft des Bundesrats würde wohl sagen: Diese Leute brauchen kein Sprachrohr. Es sind alles Schwurbler oder Rechtsextreme oder Esoteriker oder Wutbürger oder alles zusammen. Denen muss man keine Stimme geben. Wenn es sich das Schweizer Fernsehen erlaubt, in einer Diskussionssendung (!) wie dem «Club» Massnahmenkritiker einzuladen, kommen Fleisch gewordene Witzfiguren wie Knackeboul (nein, Sie müssen ihn nicht zwingend kennen) sofort zum Schluss, dass das völlig falsch sei. Gar nicht erst zu Wort kommen lassen: Das ist die neue Debattenkultur in der Schweiz. Einst ging es um die Frage, wer das beste Argument hat. Nun will man gar nicht erst Gegenargumente hören, am liebsten würde man sie wohl unter Strafe stellen.

Wir sind stolz darauf, eine direkte Demokratie zu sein. Eine solche lebt von möglichst vielfältigen Informationen und der aktiven Auseinandersetzung über diese. Es gibt den englischen Begriff «informed decision». Er besagt sehr schlank, dass eine Entscheidung einen bestimmten Grad an Information bedingt. Wer nicht über alle Informationen verfügt, kann keine ausgewogene Entscheidung fällen. Er trifft seine Wahl aufgrund eines begrenzten Spektrums an Wissen, was bedeutet, dass er gewisse Kriterien nicht berücksichtigt. Das Ergebnis ist selten positiv.

Deshalb kann es gar nicht gut sein, wenn man bestimmte Meinungen einfach aus dem Diskurs wirft. Im Fall von Corona wird dieses Vorgehen so begründet: Es geht um die Volksgesundheit, und da gibt es schädliche Meinungen, die man gar nicht erst vorbringen darf. Wer das sagt, der nimmt das Resultat, das ja erst aus der Debatte entstehen kann, bereits vorweg.

Es ist ein bisschen, als würde einer sagen, 2 und 2 seien 5 und sich danach jede Diskussion darüber verbittet. Tut man das erfolgreich, wird das Resultat immer 5 bleiben, auch wenn es kreuzfalsch ist.

Es gibt in der Schweiz viele Menschen, die an der aktuellen Coronapolitik zweifeln, aber nur eine Minderheit wird aktiv. Die anderen beschränken sich auf Kritik im direkten Umfeld. Das muss man akzeptieren, nicht jeder ist für den aktiven Widerstand geboren. Es braucht Kraft, sich dem gängigen Narrativ entgegenzustellen. Aber letztlich muss sich jeder fragen, ob er damit leben kann, dass das, was er für völlig falsch hält, allmählich zum Normalfall wird. Vieles von dem, was vor zwei Jahren, vor einem Jahr, vor sechs Monaten für absolut unmöglich gehalten wurde, ist inzwischen Realität. Ein bedeutender Teil der Schweiz kann nicht mal mehr auswärts ein Bier trinken gehen. Was spricht dagegen, dass schon bald Tankstellenshops für Ungeimpfte geschlossen sind? Irgendwann auch der normale Supermarkt? Bus und Zug? Und vielleicht auch der öffentliche Raum?

Das hätte man alles bis vor Kurzem als paranoides Geschwafel abtun können, heute nicht mehr. Die Bahn ist frei für weitere Einschränkungen, weil so viele schweigen. Zusammen mit den Leuten, die brav getan haben, was man von ihnen verlangt, bilden sie eine solide Mehrheit. Was dazu führt, dass die Verteidiger von Verfassung und Grundrechten als völlig verrückte kleine Minderheit dargestellt werden können. Obwohl sie ja nur das verteidigen, was uns allen heilig sein sollte.

Ein guter Gradmesser dafür, wer richtig liegt und wer falsch, sind die Feedbacks, die jemand erhält, der permanent über die Situation schreibt. Mich erreichen unzählige sehr reflektierte Rückmeldungen von Leuten, die sich Sorgen machen aufgrund der zunehmenden Spaltung, der Passivität einer Mehrheit, dem Verlust von Grundrechten und so weiter. Und dann gibt es auch die anderen, die Dinge schreiben wie «Nur mit der Impfung bekommen wir die Normalität zurück!»

Pardon, aber in diesen Fällen hat die Hirnwäsche wirklich gegriffen. Die sogenannte Normalität hat uns nicht ein Virus entrissen, sondern eine Regierung durch völlig unverhältnismässige Massnahmen. Wenn diese Regierung uns nun verspricht, für eine Gegenleistung die «Normalität» wieder einzuführen, ist das kein gangbarer Weg, sondern ein Skandal. Es wäre gar nie nötig gewesen, irgendjemandem irgendetwas wegzunehmen, und wer nun in Anlehnung an die Massenmedien einfach nachbetet, dass die Impfung der Königsweg zurück zum alten Zustand ist, muss man diese Leute ernsthaft fragen, ob sie sich darüber bewusst sind, wie wir überhaupt jemals an diesen Punkt gelangen konnten.

Und die zweite Frage: Was würden diese Leute sonst noch alles machen, wenn man ihnen «Normalität» verspricht, nachdem man ihnen zuvor ohne jede Not diese Normalität weggenommen haben?

Die Taschenspielertricks einer Regierung

Man kann mit einer Regierung zufrieden oder nicht zufrieden sein, das liegt in der Natur der Sache. Nur eines sollte sie unbedingt sein: Verlässlich. Egal in welche Richtung. Was derzeit mit der Zertifikatspflicht geschieht, gleicht aber eher dem Gebaren einer Gang in einem Hinterhof: Undurchsichtig und trickreich.

3G ist schlimm genug. Die Idee, einen grossen Teil der Bevölkerung von gesellschaftlich-kulturellen Leben auszusperren, ist fürchterlich. Vor allem, wenn die Situation eine solche Massnahme nicht einmal ansatzweise hergibt.

Aber es sind ja eben nicht einmal drei G. Der Status «Genesen» ist reine Show. Das Haltbarkeitsdatum ist arg befristet, und es laufen vermutlich da draussen nicht viele Leute rum, die dank «Genesen» zum Zertifikat gekommen sind. Das ist ein reines pro-forma-Zugeständnis an Leute, die den Virus mal hatten, aber sie müssten gewissermassen permanent «nachladen» mit einer Ansteckung, und wer genau tut das – und wie soll man das machen?

Womit wir faktisch bei 2G sind. Aber eben nicht einmal das.

2G ist im Vormarsch, in Deutschland schon länger, in der Schweiz gibt es auch bereits Anlässe, die mit 2G operieren. Der Reduktion fällt aber nicht etwa der «Genesen-Status» zum Opfer, sondern der Status «Getestet». Das Kantonsspital Winterthur beispielsweise fordert für seinen «Zukunftstag», der sich an Kinder ab 12 Jahren richtet: Geimpft oder genesen. Faktisch also: Geimpft. Für Zwölfjährige. Begründung: Die Fehlerquote bei den Tests sei zu hoch. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

3G wird zu 2G und faktisch zu 1G, und damit sind wir bei der indirekten Impfpflicht. Einen Begriff, den der Bundesrat nie in den Mund nehmen würde, den er aber durch die Hintertür realisiert. Das ist unehrlich. Unethisch. Und noch einige «Un» mehr. Weil eine echte Impfpflicht bis hin zum Impfzwang politisch nicht umsetzbar ist, versteckt man sich hinter einem Regelwerk, das angeblich Alternativen zulässt, die aber nicht alltagstauglich sind. Vor allem dann nicht mehr, wenn die Tests kostenpflichtig sind. Das weiss der Bundesrat genau. Er führt uns nicht aus Inkompetenz hinters Licht, sondern mit Kalkül.

Wer das Zertifikat will, langfristig will, dem bleibt nichts übrig, als sich impfen zu lassen. Zunächst zwei Mal, dann wohl periodisch immer mal wieder. Die Tests kosten viel Geld oder werden punktuell nicht mal akzeptiert, und den Virus zuhause in einer Box im Kühlschrank aufzubewahren, um alle paar Monate als «genesen» durchzugehen, das ist wohl auch kein gangbarer Weg.

Im Grunde müsste man sich derzeit sogar einen radikalen Impfzwang wünschen. Denn dann würde der Widerstand auch stärker und offensichtlicher. Aktuell kann sich die Regierung hinter den Ausweichmöglichkeiten zur Impfung verstecken, die sie geschaffen hat, die beim näheren Hinsehen aber ein reiner Witz sind. Will man eine Regierung, die mit solchen Taschenspielertricks agiert und das Volk für dumm verkauft? Der sich dem absehbaren Aufschrei entzieht, indem er das, was er eigentlich will, einfach kreativ verbirgt? Der eine 3G-Zertifikatspflicht einführt, die mehr und mehr unterlaufen werden wird durch Veranstalter, die 2G verlangen?

Vielleicht finden das die heute so stolzen Zertifikatsbesitzer irgendwann auch nicht mehr lustig. Dann, wenn sie merken, was sie tun müssen, um ihren tapfer erimpften Status zu erhalten. Sie haben sich dem System ausgeliefert, und das System wird immer wieder eine Schippe nachlegen.

Aber die Häme überlassen wir lieber der anderen Seite.

Totale Verwirrung ist der Tod jeder Strategie

Geimpft, aber auf der verzweifelten Suche nach jemanden, der einen ansteckt? Oder doch das Gegenteil? Und geimpft und dennoch testen lassen oder ganz bestimmt nicht? Aktuell erreichen uns die unterschiedlichsten Botschaften. Und man will gleichzeitig, dass wir gefälligst tun, was man verlangt. Aber was verlangt man denn?

«Auch Geimpfte sollen sich testen lassen», fordert die Walliser Ärztepräsidentin. Dies, nachdem sie sich selber, obschon geimpft, getestet hatte, weil sie das eine oder andere Signal einer Erkrankung verspürt hatte – und ein positives Resultat erhielt. Um ein Haar hätte sie an einem Anlass als eine Art Superspreader agiert, wie sie sinngemäss die «Blick»-Leserschaft wissen lässt.

Da stutzt die Horde der Geimpften natürlich. Endlich hat man das lang ersehnte Zertifikat im Sack, und da findet eine Expertin – und zwar eine des Vertrauens, sie empfiehlt die Impfung – doch in der Tat, man solle sich doch auch noch testen lassen. Was bekanntlich bald Geld kostet.

Ja was denn nun? Die Frage gilt aktuell sowieso sehr intensiv. Und das könnte für die Politik bald zum Problem werden.

Zum Beispiel, weil sich auch andere Experten widersprüchlich äussern. Christian Drosten, die deutsche Stimme für die aktuelle Coronapolitik, möchte gerne eine Infektion durchmachen. Oder besser gesagt: Mehrere. Denn das sei im Verbund mit der Impfung der beste Schutz. Karl Lauterbach, das lauteste Gewässer seit den Niagarafällen, gibt sofort Kontra: Nie und nimmer würde er sich anstecken wollen.

Ja was denn nun?

Die Frage ist Programm seit über eineinhalb Jahren. Was kann die Maske, was nicht, was schafft der Lockdown, was nicht, was nützen geschlossene Restaurants, was nicht, wovor schützt die Impfung, wovor nicht: Wir leben im Zeitalter der offenen Fragen. Gleichzeitig, und darin liegt die Ironie, wurde uns noch nie in einem solchen Brustton der Überzeugung erklärt, was zweifellos richtig sei und was wir alle sofort zu tun hätten. Trotz offener Fragen.

Totale Verunsicherung, totale Uneinheitlichkeit, aber auch totale Verlautbarungen von Regierungen und Behörden. Das alleine müsste stutzig machen. Tut es auch, aber nur eine Minderheit. Der Rest folgt brav. Trotz offener Fragen. Trotz widersprüchlicher Aussagen.

Von Anfang an musste man sich gewissermassen entscheiden, wem man glaubt. Beziehungsweise: Es wurde uns eingeredet. Man stand auf der Seite von Drosten oder auf der von Bhakdi, man hörte Lauterbach zu oder Streeck, aber sicher nie beiden. Denn dann hätten ja Fragen auftauchen können. Noch mehr Fragen. Wer Angst vor Zweifeln hat, wählt einfach eine Expertengruppe, hört nur ihr zu und betet deren Aussagen nach.

Das ist das pure Gegenteil von dem, was Wissenschaft sein sollte.

Kommt dazu, dass inmitten einer global gesehen milliardenschweren Impfkampagne täglich ganz beiläufig von irgendwie kommuniziert wurde, dass es damit nicht getan sei. Noch mehr Impfungen, regelmässige Auffrischungen, ein «Booster», doch noch ein Test, doch lieber gleich noch eine Ansteckung. Es ist, als würde uns jemand für viel Geld ein Auto verkaufen, das dem neuesten Stand der Forschung entsprechen soll, und am Tag danach informiert er uns, wir sollen bitte sicherheitshalber jede Woche einen Service machen lassen und sicherheitshalber jeden zweiten Tag den Ölstand und den Reifendruck kontrollieren.

Es zeichnet sich immer mehr ab, dass Leute, die sich der 3G-Regel förmlich in die Arme geworfen haben und sich impfen liessen, weil die anderen beiden G ein schlechter Witz sind, früher oder später die Gelackmeierten sind. Sie sind in eine Spirale ohne Ausweg geraten. Wer sich die Freiheit erimpfen wollte, muss nun das Spiel weiter mitspielen bis zum St.Nimmerleinstag. Sonst hat die erste Ladung keinen Sinn gemacht.

Manchmal zahlt sich Geduld aus. Auch wenn sie bedeutet, dass man sich eine Weile gedulden muss, um wieder tun zu dürfen, was man tun möchte. Die völlige Orientierungslosigkeit an der Impffront, die sich widersprechenden Aussagen, die Art und Weise, wie das angebliche Zaubermittel von seinen grössten Lautsprechern immer wieder entzaubert wird, deutet darauf hin.

Im echten Leben müsste dieses Kommunikationschaos der Tod der Strategie sein. Wenn die Leute nicht mehr verstehen, was genau eigentlich Sache ist, neigen sie dazu, dieser Sache aus dem Weg zu gehen. Hier ist es bis auf Weiteres anders, weil die Diskriminierung Ungeimpfter ein starker Hebel ist und die ganze Kampagne auf opportunistisches Verhalten ausgerichtet ist – und das ist in unserer Gesellschaft in der Mehrheit.

Aber Opportunisten, die tun, was man von ihnen verlangt, dann aber nicht einfach bekommen, was man ihnen versprochen hat, können unangenehm werden. Gut möglich, dass die Politik sich dereinst viel stärker mit wütenden Geimpften als mit frustierten Ungeimpften konfrontiert sein wird.

Zu Hilfe, er ist ungeimpft!

Boulevardmedien schreiben Leuten gerne schlechte Eigenschaften zu, weil diese Leute damit spannend werden. Mieser Charakterzug, Vorstrafenregister, betrunkener Ausrutscher: Alles Gold wert. Neu in diese Kategorie gehört «ungeimpft». Getroffen hat es den obersten Gastronomen der Schweiz. Peinlich! Aber eher für die bewusste Zeitung.

«Gastro-Platzer ist nicht geimpft!», titelte der «Blick am 8. September und folgerte: «Nun macht alles einen Sinn.» Die Zeitung suggerierte damit, der Präsident des Branchenverbands Gastrosuisse lege sich so sehr gegen eine Zertifikatspflicht ins Zeug, weil er selber keinen solchen «Schein» hat. Das ist natürlich Unsinn gröberen Ausmasses. Platzer kann täglich im Restaurant essen, immerhin hat er eines, und auch sonst dürfte er keine Schwierigkeiten haben, irgendwo verköstigt zu werden bei seinen 20’000 Mitgliedsbetrieben, auch ohne Zertifikat. Ihm zu unterstellen, er würde im Namen eines Verbandes eine tiefgreifende neue Verpflichtung bekämpfen, nur weil er selber gerne ausgeht, ist irgendetwas zwischen böswillig und völlig verrückt.

Einen Tag später legte der «Blick» nach. «Gastro-Boss poltert sich ins Abseits», heisst es diesmal im Titel, und die Überschrift besagt: «Ungeimpft und nur am Motzen.»

Bleiben wir kurz beim «motzen». Der Bundesrat stellt seine Ideen vor (die inzwischen realisiert sind), und der Verband der direktbetroffenen Branche ist ein «Motzer», weil er sich dagegen stellt? Was ist das für ein Demokratieverständnis? Motzt man im Sinn von sinnlos herummäkeln, wenn man nicht einfach Ja und Amen sagt zu dem, was von oben kommt? Oder ist es allenfalls die Aufgabe eines Verbandspräsidenten, Gegensteuer zu geben, wenn seine Mitglieder unter die Räder kommen? Zumal es ja nicht (nur) die private Meinung von Casimir Platzer ist, die er da zum Besten gibt, er spricht im Namen des Vorstands und der Kantonalverbände.

Das alles ist eine sehr schiefe Interpretation des Geschehens, die dem «Blick», dem inzwischen impfwütigsten Medium der Schweiz, nur dazu dient, Gegner des aktuellen Kurses unmöglich zu machen. Wie lange sich Platzer das noch antun will, ist sehr die Frage.

Aber vor allem scheint der Begriff «ungeimpft» für die Zeitung inzwischen eine fixe Kategorie zu bilden, die man einsetzen kann, um darzulegen, wie total daneben jemand ist. Warum er oder sie nicht geimpft ist, spielt dabei keine Rolle. «Ungeimpft» spielt nun in einer Liga mit einer ganzen Latte von Begriffen, die man einsetzen kann, wenn man jemanden diffamieren möchte. «Wer sich das Recht herausnimmt, selbst über den eigenen Körper zu bestimmen, ist eine Unperson.

Nun kann man natürlich eine Story darüber machen, dass der Präsident von Gastrosuisse nicht geimpft ist, auch wenn das eigentlich reine Privatsache ist. Schwerer wiegt, wie langsam und subtil ein Adjektiv zu einem Schimpfwort gemacht wird. Irgendwann braucht es dann gar kein «Nebengleis» mehr wie im Fall von Casimir Platzer den Widerstand gegen die Zertifikatspflicht. Eines Tages reicht es, jemanden als «ungeimpft» vorzuführen und ihn damit dem Mob aus Geimpften zum Frass vorzuwerfen. Denn ein wachsender Teil dieser Gruppe hat das «gegen unten treten» für sich entdeckt, suhlt sich in den wiedererlangten Freiheiten und nimmt sich gegenüber den «anderen» alles heraus.

Das tut einer Gesellschaft nicht gut. Und zwar auch denen nicht, die sich aktuell als Sieger wähnen. Sie könnten als Nächste an die Kasse kommen, wenn der Verbund aus Politik und Medien beschliesst, bei irgendeinem völlig anderen Thema Gut und Böse zu definieren und das so in der Wahrnehmung der Bevölkerung zu verankern. Es ist reichlich kurzsichtig, das Heute zu geniessen und nicht an das Morgen zu denken.

Casimir Platzer, ein hemdsärmeliger, aber hochanständiger Mann übrigens, dürfte es aushalten. Als oberster Gastronom muss man breite Schultern haben, die Branche ist sehr heterogen, die Mitglieder sind nicht alle pflegeleicht. Nur geht es eben nicht um seinen Fall, sondern um die Tatsache, dass das Prädikat «Ungeimpft» zu einer eigenständigen Karriere ansetzt.

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Mit gefühlten 20 Jahren Verspätung werde ich nun endlich zum Blogger. Hier werden künftig Texte zu finden sein, die aus bestimmten Gründen nicht auf meine anderen Publikationkanäle gehören. Und ja, Corona wird Thema sein. Aber nicht nur.

Wir sind unter Druck. Wir alle auf unsere Weise. Ein (nicht mal mehr schleichender) Abbau von Grundrechten, Diskriminierung ganzer Bevölkerungsgruppen, eine Impfkampagne, die an einen Wettbewerb mit tollen Preisen erinnert und kaum an die Erhaltung der Gesundheit. Das kann Angst machen. Alles, was man dieser Angst entgegenhalten kann, ist Aufklärung. Information. Kurz: Die Wahrheit.

Ich schreibe in verschiedenen Medien seit eineinhalb Jahren über die Coronasituation. In dieser Zeit habe ich sehr viel Zuspruch (und auch das Gegenteil davon) erhalten. Was mir unterm Strich bewusst geworden ist: Viele Menschen fühlen sich seit Monaten unwohl oder sogar mehr als das und empfinden es als Erleichterung, wenn ihre Gedanken von einem anderen ausgesprochen beziehungsweise niedergeschrieben werden. Diese Funktion will ich neu auch in diesem privaten Blog erfüllen.

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Schaukeln wir gemeinsam dieses neue Baby.