Der Ruf nach sogenannten «unabhängigen Faktencheckern», die den Lesern sagen, was sie glauben dürfen und was nicht, wird immer lauter. Mich erinnert das an eine meiner Lieblingsfiguren aus der Welt der Krimis.
Hieronymous Bosch, genannt Harry, ist er Protagonist einer Reihe von Romanen des US-Schriftstellers Michael Connelly. Inzwischen gibt es auch zahlreiche Film- und Serienadaptionen. Bosch ist ein Cop, aber noch mehr als das ist er ein Gerechtigkeitsfanatiker. Er greift zu unorthodoxen Methoden und hat deshalb immer wieder Probleme mit dem LAPD, seinem Arbeitgeber. Regelmässig wird seine Arbeit von internen Dienststellen untersucht, immer mal wieder wird er suspendiert.
Diese internen Dienststellen: Das ist eine Art «Polizei in der Polizei», also Beamte, die ihre eigenen Kollegen überprüfen. Das macht durchaus Sinn, wenn es um polizeiliche Gewalt oder Korruption geht. Harry Bosch hat aber eher den Verdacht, die Anstrengungen gegen ihn seien politisch gefärbt, er ist einfach unbequem. Und deshalb fragt er sich immer wieder das hier:
«Who polices the police who police the police?˚
Will heissen: Wer überprüft eigentlich die Arbeit der Leute, die meine eigene Arbeit überprüfen? Wer stellt sicher, dass sie sich an die Regeln halten, während sie kontrollieren, ob ich mich an die Regeln halte?
Und genau dieselbe Frage stellt sich bei den «Faktencheckern».
Im Schweizer «Jahrbuch der Qualität der Medien» in der Ausgabe 2021 wird gerade wieder der Ruf nach diesem Instrument laut. Die Autoren finden, man solle unabhängige Organisationen oder Webseiten schaffen, die Falschinformationen identifizieren und richtigstellen. Über die Zeitungen hinaus, die dieses Spielchen heute schon betreiben.
Fragen. Viele Fragen. Wer genau soll diese Organisationen oder Webseiten schaffen? Der Staat? Der dann also definiert, was richtig und was falsch ist? Das ist staatspolitisch so grundverkehrt, dass ich mir gar nicht vorstellen will, es sei so gemeint. Vor allem wäre es alles andere als «unabhängig». Aber unabhängig von wem eigentlich? Vom Staat sicher, aber natürlich auch von Geldgebern, weil die meistens Gegenleistungen wünschen. Wie finanziert man Faktenchecker, die weder vom Staat noch von Firmen bezahlt werden? Ach ja, klar, Stiftungen zum Beispiel. Aber Moment. Die werden ihrerseits ja auch irgendwie finanziert, von Spendern beispielsweise. Dahinter stehen auch Menschen mit Verbindungen. Und Abhängigkeiten.
Wer zur Hölle soll sich zur stets unabhängigen, völlig netzwerkfreien und damit total objektiven Wahrheitsinstanz aufschwingen können? Ich möchte gerne das Stelleninserat für eine solche Position sehen, das müsste sich in etwa so lesen:
Gesucht: Faktenchecker (m/w/d), unbezahlte Position, da wir kein Geld annehmen dürfen, muss die gesamte Wahrheit über alles kennen, darf weder Verwandte noch Freunde noch frühere Arbeitgeber haben, sollte seit Geburt in einem Keller leben.
Es gibt keine Menschen, die völlig unabhängig sind und keine eigene Position haben oder Vorlieben pflegen. Und wenn es sie gibt, dann leben sie irgendwo in einer Institution und sind nicht in der Lage, Faktenchecking zu betreiben.
Ich habe schon einige Male zum Thema geschrieben, die Grundkritik bleibt stets dieselbe. Man kann Fakten checken zum Thema Mathematik, weil 1 und 1 immer 2 ist. Man kann aber zumindest in Echtzeit kein Faktenchecking im Sinn einer unumstösslichen und einzigen Wahrheit betreiben bei komplexeren, vielschichtigeren Themen.
Nehmen wir das Thema Impfschäden. Wenn Faktenchecker sagen, dass es die so gut wie nie gibt und jede anderslautende Behauptung falsch ist, blenden sie aus, wie wenige Impfschäden von Ärzten gemeldet werden (viel Aufwand, kein Geld) und wie die politisch erwünschte Definition für einen Impfdurchbruch überhaupt aussieht. Die Faktenchecker nehmen also eine offizielle Statistik und «widerlegen» damit Meldungen darüber, dass es mehr Impfschäden gibt als rapportiert. Aktuell kann weder das eine noch das andere belegt werden, aber aus gutem Grund, das Thema ist völlig intransparent. Man kann nicht jeder Frage mit einer Statistik zu Leibe rücken, man muss sich auch fragen, auf welcher Basis die bewusste Statistik entstanden ist – und vor allem, welche Interessen derjenige vertritt, der die Statistik führt.
Damit ist das Faktenchecking im Grunde eine extrem unjournalistische Arbeit. Es ist Erbsenzählen, ohne einen Blick in die Küche zu werfen. Es ist das Ausblenden von Umständen, vor allem aber das Ausblenden von anderen Fakten, die reinspielen.
Und eben: Who polices the police who police the police? Wer überprüft die Motive der Faktenchecker, ihre Verbindungen, ihre Verbindlichkeiten? Faktenchecker sind eine Art Bundesgericht: Mehr geht nicht mehr, wenn das mal sagt, wie es ist, ist es vorbei. Die letzte Instanz. Das mag juristisch angehen, irgendwann muss ja mal Ende sein, aber hier sprechen wir nicht von abschliessenden Urteilen eines Falls, der zuvor jahrelang untersucht und protokolliert wurde, hier sprechen wir von Dingen im Fluss. Hier sprechen wir von handfesten Interessen, die jeder hat. Und nun mag man «Organisationen» installieren, die ein für alle Mal sagen, was richtig ist und was falsch?
Natürlich gibt es Fälle, in denen das möglich ist. Wenn einer behauptet, nach der Impfung wachse einem ein dritter Arm, dann kann man das in Ermangelung von dokumentierten Fällen gern als Fake news qualifizieren. Faktenchecker stürzen sich aber kaum je auf so eindeutige Fälle. Sie beurteilen auch hemmungslos Dinge, die sich Stand heute noch gar nicht beurteilen lassen. Und sie stützen sich dabei auf ihre eigenen Quellen, die sie Kraft der ihnen zugesprochenen Unfehlbarkeit auch gleich als unfehlbar erklären. Aber wer untersucht die Quellen, mit denen andere Quellen als falsch deklariert werden?
Wenn eine Zeitung das zum Zeitvertreib macht: Klar, wieso nicht, kann man ihnen schlecht verbieten. Wobei es ziemlich absurd ist, wenn sich Journalisten zum Faktenchecker anderer Medien machen. Aber solche Stellen in einer übergeordneten Weise schaffen? Wer soll diese denn schaffen, wer wählt das Personal aus? Sind das auch Leute, die bisher in einem Keller gelebt haben und null Interessenbindung haben?
Faktenchecking muss man nicht schaffen, das gab es schon immer. Es ist die Aufgabe der Medien, ohne dass man es so nennen muss. Wenn Leute von einem überlasteten Gesundheitssystem fabulieren und man als Zeitung Zahlen publiziert, die zeigen, dass das aktuell nicht der Fall ist, dann ist das ein Faktencheck. Aber dann kann eine andere Zeitung dieselben Zahlen anders interpretieren. Und der Leser sucht sich seine Wahrheit. Dass es darüber hinaus ein künstliches Gremium geben soll, das abschliessend definieren darf, was stimmt und was nicht und danach vermutlich jede anderslautende Behauptung in sozialen Medien gelöscht wird: Das hat nichts mit Journalismus, Information und Aufklärung zu tun.
Das ist die reine Manipulation.